Gerlind Ammon-Schad – Der Begriff der Zumutung hat eindeutig eine negative Konnotation. Beim Nachdenken ist mir kein einziger Zusammenhang eingefallen, der eine positive Interpretation zuließe. Was für eine Zumutung! Das ist unzumutbar! Die Empörung ist mit Händen zu greifen. Was, bitte, ist eine Zumutung? Oh, da fällt mir viel ein: bei 30 Grad in einem Büro ohne Aircondition sitzen, im Stau stehen, ein Zimmer teilen im FSJ, auf den verspäteten Zug warten, am kalten Büfett die letzte in der Schlange sein und zu wenig abbekommen… endlos fortführbar, die Liste.
Jetzt fällt mir doch zweierlei auf: Erstens sind die Dinge, die für mich unzumutbar erschienen, für andere täglich Brot. Also scheint Zumutung keine feste Größe zu sein, sondern meinem persönlichen Empfinden und meiner Deutung zu unterliegen. Über das Thema verspäteter Züge regt sich in anderen Ländern niemand auf, weil man da mit anderen Zumutungen zu kämpfen hat.
Und nun das zweite: Eine Zumutung sucht man sich nicht aus, sie wird einem zugemutet. Und schon bin ich bei der Frage nach dem Schuldigen oder Verursacher, der mir dies zugemutet hat.
Eine andere Sicht stellt meine Füße auf weiteren Raum. Was mir zugemutet wird, könnte mich auch ermutigen. Könnte eine Herausforderung sein, an der ich wachsen kann. Was ich als Zumutung erlebe, kann ich in aller Freiheit umdeuten und mir sagen: Doch, das schaffe ich. Das packe ich jetzt an. Das wollen wir doch mal sehen!
Dazu ein, wirklich kleiner, Beitrag aus meinem Leben: Mit sechs Jahren hatte ich einen Mofaunfall. Ich saß auf dem Gepäckträger und rutschte bei der Bremsung hinten runter. Dabei schnitt das rostige Nummernschuld eine tiefe, lange Wunde bis fast auf den Knochen in meinen Oberschenkel. Der Schock und die lange Genesungszeit sind mir noch gut in Erinnerung. Zurück blieb eine lange, einschneidende Narbe. Als Kind verschmerzte ich sie, vergaß sie sogar. Bis ich älter wurde und gerne ins Freibad ging. Da wurde mir bewusst, wie hässlich das war. Was für eine Zumutung, mit so einer Narbe leben zu müssen! Warum ich? Die anderen hatten so schöne Beine! Aber irgendwann hat eine ältere Freundin fast bewundernd zu mir gesagt: Was hast du denn da für eine Narbe? Auf die musst du stolz sein! Du hast eine Geschichte zu erzählen!
Tatsächlich, ich habe eine Geschichte zu erzählen: Eine Geschichte von Bewahrung (das Bein hätte verloren sein können), eine Geschichte von Annahme durch Menschen, denen dieses Detail wurschtegal ist, eine Geschichte von Beinen, die mich seit 59 Jahren zuverlässig durchs Leben tragen und auf denen ich stehe und gehe ohne Einschränkungen. Eine Geschichte der Umdeutung einer Zumutung.
So kann es gehen mit der Zumutung: Ich kann sie umdeuten. Ich kann die Ermutigung darin suchen und entdecken. Ich kann nach der Frage suchen, die darin versteckt ist. Ich möchte daher Worte von Viktor E. Frankl an den Schluss stellen, vor dessen Lebensweg meine „Zumutung“ in der Bedeutungslosigkeit verschwindet:
„Es ist das Leben, das uns die Fragen stellt, wir haben zu antworten und diese Antworten zu ver-antworten! Nichts anderes kommt uns Menschen zu! Was heißt das in der Praxis?
Nicht wir haben zu fragen: Warum passiert das mir? Wie komme ich dazu? Wieso muss ich in dieser Zeit leben, mit so einem Umfeld?
Auf falsche Fragen bekommen wir falsche Antworten. Die Frage richtig müsste lauten: Wozu fordert mich meine Situation heraus? Welche Antwort will ich geben? Was soll über mich sprechen? Welche Spuren will ich hinterlassen? Was soll vor meinem Gewissen Stand halten? Will ich Leid vermehren oder Hoffnung vermehren?
Das Leben hat und behält unter allen Umständen Sinn. Meine Antwort ist gefragt!“
Ich würde hinzufügen: Jede Zumutung hat und behält unter allen Umständen Sinn. Wir haben die innere Freiheit, eine angemessene Antwort zu geben.
Gerlind Ammon-Schad (OJC) lebt nach einem längeren Auslandsaufenthalt auf Schloss Reichenberg und gestaltet dort mit Freude das Leben mit. Ihre größten Zumutungen erlebt sie mit sich selbst.