Blickwechsel

Cornelia Geister – Ich erlebe mein Leben nicht als Zumutung. Es ist auch nicht voller Zumutungen. Eher herausfordernd, spannend, oft anstrengend. Es gab und gibt Überraschungen, darunter viele schöne. Inzwischen bin ich ganz schön alt geworden. Herzkrank. Ich kann nicht mehr so, wie ich jahrelang konnte. Aber damit kann ich leben und merke, dass das auch gut ist: Ich bin nicht mehr versucht, mich ständig zu überfordern. Da sind Herausforderungen, denen ich mich stellen kann, manchmal muss. Und auch Hilfe, wenn ich etwas nicht alleine schaffe.

Auch ich stehe anderen zur Seite, lasse sie in den Herausforderungen und Zumutungen ihres Lebens nicht allein. Ich begleite seit Jahren Menschen, die böses Leid erfahren haben und ein mitfühlendes Ohr brauchen, auch einige Kranke, die den Mut nicht verlieren dürfen. Und gerade habe ich unsere Familiengeschichte weiter erforscht, in der Krieg, Flucht und der Verlust der schlesischen Heimat großen Schmerz und Zumutung mit sich brachten. Das schwere Schicksal von Flüchtlingen heute hat sich für mich auch mit dem meiner Familie verknüpft.

Wenn ich weiter nachdenke, dann spüre ich, es gibt auch für mich Zumutungen. Etwas geschieht, vor dem ich mich fürchte. Wo Panik aufkommt. Was ich unzumutbar finde. Dem ich mich nicht gewachsen fühle und von dem ich nicht will, dass es geschieht. Aber es passiert, manchmal durch die Entscheidung anderer. Ohne dass ich gefragt werde. Ohne mein Ja. Und diese Zumutung ist dann die Herausforderung an mich, zu einem eigenständigen freiwilligen Ja zu finden und es zu sprechen. Das bedeutet manchmal, mich von einer Bitterkeit zu verabschieden oder einen Herzenswunsch loszulassen. Und zu vertrauen, dass ich das überstehen kann. Vielleicht sogar, dass Gott aus dem – in meinen Augen – Falschen das Bessere machen kann, als das Richtige gewesen wäre. Kierkegaard hat das so sehen können. Da kann dann aus der Zumutung Zuversicht werden.

Der Sprachdenker Friso Melzer schreibt über Zuversicht: Es gehört mit „Sicht“ zum starken Zeitwort „sehen sah gesehen“. Es bedeutet Vertrauen auf Gott. Bei Luther findet man das in vielen Psalmen: Gott ist unsere Zuversicht und Stärke (Ps 4). (Der christliche Wortschatz der deutschen Sprache, Lahr 1951, in meinen Worten.)

Es geht also darum, etwas anders sehen zu können. Oder neu zu sehen. Oder noch einmal hinzusehen. Zuversicht gewinne ich, wenn ich etwas neu oder anders sehen kann. Oder – weil die Situation sich nicht ändert, einfach die gleiche bleibt – wenn ich von ihr weg auf Gott sehe.  Das habe ich zum Beispiel erlebt, als ich mich mit Beginn meiner Rente besorgt fragte, ob ich mich weiterhin so aktiv fürs Reich Gottes einsetzen solle, müsse? Ich lief noch in den alten Bahnen, wusste nicht, was ich tun sollte und was ich jetzt auch lassen durfte. Für mich allein fand ich keine Antwort und frug Gott in der Stille danach. Er antwortete ganz schlicht, und das war eine große Erleichterung und Freude: „Es reicht, dass wir zusammen sind.“ In dieser Freiheit lebt es sich gerade gut, trotz großer und kleiner Zumutungen.

Cornelia Geister (OJC) hat über 40 Jahre in der Redaktion mitgearbeitet und unterstützt das Team heute noch gerne.

Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2023: Achtung! Dieses Heft ist eine Zumutung!
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