Das größte Abenteuer meines Lebens

Pia Holzschuh im Gespräch mit Sr. M. Mechthild Steiner von den Dominikanerinnen in Wettenhausen

Pia Holzschuh: Sr. Mechthild, warum hast du dich dazu entschieden, Schwester im Domini­kanerorden zu werden?

Sr. Mechthild: Zuerst habe ich mich entschieden, ins Kloster zu gehen, und dann, Dominikanerin zu werden. Als Kind fand ich die spannenden Geschichten in der Bibel toll. Mit 13, 14 Jahren hatte ich eine kirchenferne Phase und habe mich viel mit anderen Religionen beschäftigt. Mit 15 Jahren bin ich gefirmt worden, das war bei uns im Dorf gar keine Frage. Aber für mich war es der Schritt zurück zur Gemeinschaft der Gläubigen. Mit 17 Jahren habe ich in Religion eine Facharbeit geschrieben und wollte zeigen, dass Heiligenverehrung Unsinn ist. Wofür braucht man Heilige, wenn man doch Jesus hat? Aber mein Religionslehrer half mir dann zu einem klareren Verständnis, denn wir verehren zwar die Heiligen, beten aber nur Jesus an. So habe ich dann stattdessen eine Facharbeit über die heilige Hildegard von Bingen geschrieben. Für die Recherche bin ich einige Tage ins Eibinger Benediktinerinnenkloster gegangen. Ich durfte auch am Stundengebet (auf Latein) der Schwestern teilnehmen. Ich verstand zwar nichts, aber es war trotzdem bewegend. Am letzten Morgen kniete ich vor dem großen Jesusmosaik und spürte, wie Jesus zu mir sagte: „Bleib da“. Aber mit dem Abitur und mit meinem (ersten und letzten) Freund vertrug sich das Klosterleben nicht so recht, und so vereinbarte ich mit Jesus, das zu verschieben. Ich hatte den Eindruck, dass Jesus sich darauf einließ und bin erstmal nicht ins Kloster gegangen. Ich studierte dann Mathematik, auch ein Semester in Neuseeland. Dort habe ich die katholische Kirche ganz anders kennengelernt. Sie war voll von begeisterten jungen Leuten, lebendig und wachsend. In dieser Kirche dabei zu sein, bringt doch was. Als der Anruf von Gott noch mal kam, konnte ich innerlich Ja dazu sagen.
Dominikanerin bin ich geworden, weil die Klarheit und Stringenz meinem Naturell entspricht. Die Dominikaner sind ein apostolisch tätiger Orden, das heißt, wir beten und wir leben hinter Klostermauern, aber wir kommen auch raus und geben Katechesen oder Religionsunterricht oder was auch immer eben dazu beiträgt, die Wahrheit von Jesus in diese Welt hineinzutragen. Das Motto des Dominikanerordens ist einfach Veritas. Wahrheit. Das ist das, wonach wir uns ausstrecken, die Wahrheit zu erkennen, die Wahrheit, die Christus ist, und diese Wahrheit auch weiterzu­geben.

PH: Trotzdem war der Klostereintritt bestimmt ein großer Einschnitt. Was hast du aufgegeben und warum?

SrM: Man gibt immer etwas auf, wenn man sich für etwas entscheidet. Während meiner Studienzeit habe ich gerne getanzt. Aber nachdem ich dieses Ja zu meiner Berufung hatte, war mir klar, dass ich nicht mehr weitertanzen möchte. Nicht, weil ich nicht durfte, sondern weil ich nur noch mit Jesus tanzen wollte.
Jede Frau ist natürlich schön und ich auch. Im Kloster habe ich meine Haare aufgegeben, nicht abrasiert, wie man es manchmal im Film sieht. Es war etwas, was ich Jesus schenken darf. Nicht als Pflicht, sondern aus der inneren Sehnsucht heraus, Jesus mehr gefallen zu wollen als den Menschen.
Schmerzhaft war es, mich nicht oder nicht mehr so oft mit meinen Studienfreunden treffen zu können. Das war schwieriger, als meine Eltern und Familie loszulassen.

PH: Empfindest du deine Berufung manchmal auch als Zumutung?

SrM: Darüber müsste ich länger nachdenken. Am Anfang habe ich es definitiv als Zumutung empfunden. Jesus ruft mich an, mein Leben ganz hinzugeben an ihn. Und das in dieser Kirche! Inzwischen empfinde ich es nicht mehr so sehr als Zumutung, sondern vor allem als eine Quelle der Freude. Von außen sieht es wahrscheinlich schon nach Zumutung aus, aber innerlich ist es das weniger bis gar nicht.

PH: Dein Alltag folgt einem strukturierten Tagesablauf. Vermisst du es nicht manchmal, deinen Tag freier gestalten zu können?

SrM: Unser Tagesablauf ist schon sehr strukturiert. Wir starten morgens um 6:30 Uhr mit der Laudes, anschließend feiern wir gemeinsam die heilige Messe. Bis zum Mittagsgebet ist Arbeitszeit, dann eine Zeit der Stille und anschließend gibt es Mittagessen. Danach ist Arbeitszeit bis zum Abendessen um 18 Uhr, nach dem Abendgebet beten wir noch zusammen den Rosenkranz. An den meisten Tagen haben wir gemeinsame Rekreation, wir sind beieinander, lesen Zeitung, erzählen. Von acht bis neun Uhr ist eine Stunde frei, dann treffen wir uns noch mal zur Komplet. Jede Schwester sollte sich jeden Tag Zeit für die Bibel und die stille Anbetung nehmen. Aber das kann man frei planen. Die Struktur ist mehr eine Stütze als eine Fessel. Natürlich ist das manchmal nervig, aber da ist dieses Ja, dass Gott mich in allem stören darf. Um meinen Tag freier gestalten zu können, bräuchte ich nicht weniger Gebetszeiten, sondern weniger Aufgaben.

PH: Aber warum verzichtet man freiwillig auf Besitz, Familie und auch die Freiheit, eigene Ziele zu verfolgen?

SrM: Wenn man eigenen Zielen uneingeschränkt nachgeht, kann man ganz schön in die Irre gehen, weil sie vielleicht nicht die Ziele Gottes sind. Für mich ist es eine Entlastung, dass ich nach Gottes Plan mit mir fragen darf. Was willst du prinzipiell von mir? Was willst du jetzt von mir? Wo willst du diese oder jene Sache hinführen? Natürlich darf ich Gott auch sagen, was ich mir wünsche oder wovon ich träume. Gott zieht ja nicht einfach etwas aus seiner Loskiste, sondern er hat ein Ziel für mein Leben und weiß, wie das am besten verwirklicht werden kann. Ich darf Gott sagen, wo es mich hinzieht. Ich muss ja nicht alles allein lösen, sondern habe den besten Begleiter der Welt. Ich bin nicht immer einer Meinung mit Gott, aber ich weiß, dass er‘s besser weiß.
Besitz war für mich persönlich nie besonders relevant. Ich hatte eigentlich immer alles, was ich gebraucht habe. Mein Vater war selbstständig und ich habe auch die Sorgen, die Besitz mit sich bringt, mitbekommen.
Familie ist so ein Punkt. Die Sehnsucht nach Familie hat eigentlich jeder von uns, auch wenn ich als Jugendliche aus zerbrochenen und unheilen Strukturen herauswollte. Wenn ich meine verheirateten Schwestern besuche, frage ich mich spätestens nach zwei Tagen, wie man so leben kann? Keine Zeit fürs Gebet, keine Ruhe. Im Realitätscheck merke ich, dass Gott mich schon richtig hingestellt hat.

PH: Muss man sich das Leben im Kloster nicht als sehr einsam vorstellen?

SrM: Was Familie ausmacht, Gemeinschaft, Nähe, Geborgenheit, Austausch, das ist auch in der Gemeinschaft da, vielleicht sogar stärker als in familiären Banden. Wir sind alle auf Denselben ausgerichtet. Meine Mitschwestern sind nicht hier, weil ich so nett bin, sondern weil sie Jesus lieben. Persönliche Vorlieben oder Abneigungen sind eher zweitrangig. Was uns zusammenhält, ist eben diese Liebe zu Jesus. Dann kann ich eine Schwester, die mir vielleicht weniger sympathisch ist, genau deshalb schätzen und lieben, weil sie eben Jesus liebt. Es entlastet die Beziehungen innerhalb der Gemeinschaft, weil wir alle auf Jesus hingeordnet und nicht aufeinander zugeordnet sind.
Einsam? Jein. Jeder und jede braucht einsame Stunden, im Kloster, in der Familie, als Alleinstehende. Es braucht die Einsamkeitsmomente und die Gemeinschaftsmomente. Es wäre falsch zu sagen, dass man im Kloster nie einsam ist. Wobei einsam anders ist als Alleinsein. In meinem Alleinsein fühle ich mich wohl. Hier kann ich Gott wieder neu begegnen.

PH: Fördern oder verhindern Enthaltsamkeit und Verzicht ein glückliches, erfülltes Leben?

SrM: Wir leiden keinen Hunger. Wir haben genug anzuziehen. Wir haben auf der emotionalen Ebene das, was ein Mensch braucht. Aber wir werden, wenn wir immer nur genug haben wollen, nie genug davon kriegen.
Ich habe kürzlich meine Stelle gewechselt. Vorher habe ich mehr im geistlich-theologischen Bereich gearbeitet, jetzt unterrichte ich wieder an der Schule Mathematik. Ich hätte nicht behauptet, dass mir die Mathematik fehlt, aber weil ich jetzt wieder die Möglichkeit habe, mich mehr damit zu beschäftigen, merke ich, welche Freude ich daran habe.
Verzicht in Bezug auf das Ausleben des Sexualtriebes ist durchaus möglich. Ich kann bestätigen, dass man in eheloser Keuschheit leben kann, wie das im katholischen Fachjargon heißt, und ja, das ist erfüllend, auch wenn die Gesellschaft was anderes sagt. Natürlich hat man wie jeder Mensch mal damit zu kämpfen, man ist ja kein geschlechtsloser Mensch. Aber ich darf darauf verzichten, weil mir jemand anderes, Jesus, wichtiger ist. Sexualität führt zu Fruchtbarkeit. Und fruchtbar kann ich auch in einem geistlichen Sinne sein. Es ist durchaus erfüllend, wenn ich Menschen auf dem Weg zu Gott begleiten kann, wenn ich ihnen helfen kann, mit Jesus in Berührung zu kommen. Da habe ich meine Kinder, obwohl ich nie geboren habe. Auf einer anderen Ebene, aber nicht weniger real.

PH: Ist das Leben als Ordensschwester nicht langweilig?

SrM: Es ist alles andere als langweilig. Von außen sieht es so aus, als würde man den ganzen Tag nur beten, aber gerade das ist so spannend. Mir war schon ziemlich jung als Ordensschwester ganz deutlich, dass ich nichts Abenteuerlicheres in meinem Leben machen kann, als mich jeden Tag neu auf die Suche nach Gott zu begeben. Da kommt man wirklich nie, nie, nie an ein Ende und wenn man meint, alles zu wissen, findet man noch mehr.

PH: Ihr fastet regelmäßig? Wie sieht das aus und was bedeutet es dir?

SrM: In der Fastenzeit frühstücken wir mit Wasser und Brot. Ich faste Süßigkeiten, was schwer ist für mich, denn ich esse sehr gerne. Entscheidend ist für mich und für uns im Kloster, dass das Fasten nicht eine Leistung ist, sondern dass es im Gehorsam geschieht, im Gehorsam Gott gegenüber, der sich auch ausdrückt durch den Gehorsam gegenüber der Oberin und gegenüber dem Arzt. Niemand soll am Ende der Fastenzeit einfach sterben, weil er nicht die Nahrung hatte, die er brauchte.
Wenn ich auf etwas verzichte, was ich mir nicht ausgesucht habe, kann ich auch nicht so schnell stolz werden, wenn ich es durchhalte. Für mich bedeutet fasten, bewusst auf etwas zu verzichten, als ein Angebot, ein Mittragen. Die Last dieser Welt trägt Jesus allein. Aber ich kann mit meinen Minikräften ein wenig mittragen.

PH: Wird in eurem Kloster auch geschwiegen?

SrM: Prinzipiell ist die Nacht Schweigezeit und es gibt Schweigezeiten bei manchen Mahlzeiten. Auch auf den Gängen sollte man nicht reden. Schweigen ist einfach hilfreich, um wirklich ganz bei Gott sein zu können. Beim Frühstück kommen wir normalerweise direkt von der heiligen Messe, haben also gerade in der Kommunion Jesus empfangen und wollen ganz bei ihm bleiben und uns nicht sofort im Tagesgeschäft verlieren. Ich mag Schweigen sehr gerne, weil es mir hilft, offen zu bleiben für das, was Jesus mir sagen will. Einmal im Monat dürfen wir einen sogenannten stillen Tag halten. Wir starten dann morgens gleich mit einer Stunde stiller Anbetung und schweigen den Tag über. Schweigen hilft, wirklich bei Gott zu bleiben und sich auf ihn hin auszurichten.

PH: Wenn du in deiner Ordenstracht unterwegs bist, fällst du doch bestimmt auf. Wärst du nicht manchmal lieber anonym unterwegs?

SrM: Ich bin gerne im Habit unterwegs, weil es schön ist und für mich auch eine Möglichkeit, Zeugnis zu geben. Hier in der Klosterumgebung sind die Leute das gewohnt. In der Schule nehmen mich die Schüler einfach als Schwester Mechthild wahr. „Keine Ahnung, was die da anhat, völlig egal, so sieht die halt aus. Punkt.“ Angesprochen werde ich meistens, wenn ich weiter weg unterwegs bin. Ich mag es, da erkennbar zu sein.

PH: Was hilft dir, Krisenzeiten zu bewältigen?

SrM: Der heilige Ignatius von Loyola hat mal gesagt: „Eine Entscheidung, die du ruhigen Herzens getroffen hast, sollst du nicht unruhigen Herzens wieder rückgängig machen.“ In Zeiten innerer Unruhe hat mir dieser Satz sehr geholfen. Hinschauen, die Unruhe zulassen, aber keine Entscheidung treffen. Ich habe vielleicht Zweifel und bin mir nicht mehr sicher, ob das der richtige Weg ist. Aber ich warte so lange, bis mein Herz wieder ruhig ist und dann schaue ich noch mal drauf. Tief drin ist und bleibt diese Gewissheit, dass das mein Weg ist.

Sr. Mechthild gehört seit 2010 zum Dominikanerorden. Sie ist in ihrer Gemeinschaft der Dominikanerinnen von Wettenhausen für die Ausbildung der jungen Schwestern im Postulat und Noviziat zuständig.

Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2023: Achtung! Dieses Heft ist eine Zumutung!
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