Mich überlassen oder mich überlasten (Editorial 2018/1)

Liebe Mitchristen,

Menschen, die viele Gaben haben, haben oft auch viele Aufgaben. Sie können sich dadurch leicht überfordert fühlen. Aber wer andauernd im roten Bereich lebt, strapaziert seine Gesundheit. Nur wer regelmäßig auftankt, kommt auch weiter. In einer grenzenlosen Zeit wie der uns­rigen packen wir oft mehr in einen Tag als wir schaffen können. Gleichzeitig checken wir ­E-Mails,­ hören Radio, lesen Zeitung und telefonieren manchmal noch nebenbei. Vieles strömt auf uns ein, häufig, ohne dass wir es bewusst wahrnehmen. Unser modernes Leben ist wie ein Motor, der ständig auf Hochtouren läuft.

Wie kann man Überlastung vorbeugen und was kann man dagegen tun? „Mich überlassen oder mich überlasten“ lautet das Motto, unter dem wir mit unseren Beiträgen das Thema in diesem Heft umkreisen.

Um eine kranke Form der Hingabe, sich für andere zu verzehren, ohne seine Kräfte zu erneuern und die Kraft sich neu zu fokussieren, geht es im ersten Artikel „Geistliches Leben als Quelle der Erneuerung“ (S. 4).

Eine anonym bleiben wollende Autorin schreibt sehr persönlich, wie die Erfahrung anhaltenden Beschämtwerdens („du genügst nicht“) von Kindheit an dazu geführt hat, unter höchstem Kraftaufwand äußerliche Stärke beweisen zu müssen. Das Zeugnis zeigt, dass jeder Mensch durch lebensgeschichtliche Erfahrungen tief geprägt wird und Veränderung möglich ist (S. 10).

Wie ein Gespenst geht das Phänomen Burnout durch unsere Gesellschaft. Vermutlich kennt inzwischen jeder jemanden, der an dieser ­Erschöpfungskrankheit leidet. Menschen aller Berufssparten, Männer und Frauen, Junge und Alte sind davon betroffen. Was ist los mit ihnen? Hatten sie Warnzeichen? Warum sind Menschen körperlich und seelisch erschöpft, geplagt von Schlafstörungen und depressiven Verstimmungen bis hin zur völligen Apathie und Antriebslosigkeit? Gisela Stübner verschafft uns einen grundlegenden Einblick in das Phänomen und zeigt Ursachen und Hilfen auf (S. 14).

Was schützt uns vor maßlosem Müssen? Sabine Waldmann richtet unseren Blick auf die erhol­same Abwechslung eines achtsamen „Bleibens“ (S. 22).

Wir sind auf Beziehung hin angelegt. Darum darf und soll „kein Mensch mit den Belastungen, Herausforderungen, Überforderungen seines Lebens alleine bleiben; an Herausforderungen kann man wachsen – allen Überforderungen zum Trotz“. Darauf verweist der Theologe Klaus Sperr in einer Bibelstudie über Johannes Markus (S. 24).

Das Eingehen einer Beziehung, noch dazu auf ­einem anderem Kontinent, bedeutet eine riesige Umstellung. Einen ganz persönlichen Weg des Gottvertrauens und der Erfahrung seiner Liebe bezeugt die frisch verheiratete Christelle Imhof (S. 28).

Am Ende muss sich jeder selber fragen: Was hält mich in den Herausforderungen des Alltags im Gleichgewicht? Wie kann ich der Überforderung entgegenwirken? Es liegt in der Verantwortung ­eines jeden, sich zu besinnen und Grenzen abzustecken. Sein persönliches Überlastungs-Präventionsprogramm kann jeder nur für sich selbst ­erstellen.

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Gott uns den entscheidenden Hinweis gegeben hat. Als Gott nach sechs Tagen die Erschaffung der Welt beendet hatte, sah er, dass die Schöpfung noch nicht vollkommen war. Der Welt fehlte Ruhe. Zu diesem Zweck schuf er am siebten Tag den Sabbat:

Gott ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte (Gen 2,2-3).

Nach der rabbinischen Auslegung ist der Sabbat nicht dadurch entstanden, dass Gott am siebten Tag passiv blieb, sondern er ist das Resultat einer aktiven Handlung Gottes. Das bedeutet, dass auch für uns der Sonntag nicht ein Tag sein will und soll, an dem wir einfach nichts tun. Der Sonntag ist nicht ein Pyjama-Tag, sondern er hat einen positiven Inhalt, bei dem es darum geht, die Anspannungen des Arbeitsalltags zu lösen. Sei es durch Sport oder einen Spaziergang, bei dem sich uns die Schönheit der Schöpfung neu erschließt; einer Buchlektüre, oder im Umgang mit befreundeten Familien. „Die großen, die glücklichen, die niemals erjagbaren Einsichten und Einfälle werden vor allem in der Muße zuteil.“ (Josef Pieper in Muße und Kult, S. 51). All dies soll nicht in der Haltung dessen geschehen, „der eingreift, sondern dessen, der loslässt, der sich loslässt und überlässt“ (ebd., S.53). So ist Erholung mehr als Urlaub oder Ferien; sie ist „… eine Voraussetzung für das Vernehmen von Wirklichkeit: nur der Schweigende hört; und wer nicht schweigt, hört nicht….“ (ebd., S.52)

Lassen wir zum Schluss die Worte des Kirchen­vaters Augustinus auf uns wirken:

Schwierig ist es, im Menschengewühl Christus zu sehen. Unser Herz braucht eine gewisse Einsamkeit. In dieser Einsamkeit des Blickes zeigt sich Gott. Das Menschengewühl bringt viel Lärm mit sich. Wenn wir sehen wollen, brauchen wir die Stille.

Suchen wir die Ruhe, das Atemholen der Seele, bei Jesus – nach der Empfehlung eines geistlichen Ratgebers: eine Stunde am Tag; ein Tag in der Woche und eine Woche im Jahr. Wohl bekomm’s!

Mit herzlichen und dankbaren Grüßen und dem ganzen Redaktionsteam,
Ihr
Rudolf M. J. Böhm

Bild: ©Ben Visbeek
Brennpunkt-Seelsorge 1 / 2018: Mich überlassen oder mich überlasten
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