So tun als ob

Gottes Verheißungen trauen

Anselm Grün

Glauben ist für die alten Mönche in erster Linie ein „So-tun-als-ob“. Wenn die Mönche sich ein Wort der Schrift immer wieder vorsagen, so glauben sie, dass dieses Wort Wort Gottes ist, dass es die Wirklichkeit ­beschreibt, wie sie ist, und dass es bewirkt, was es ausdrückt.

Wenn man sich in seinen depressiven Gedanken vorsagt: Ist einer in Christus, ist er eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen. Siehe es wurde neu (2 Kor 5,17), so glaubt man, dass das genauso zutrifft. Man spürt es nicht, man weiß es nicht gewiss, man vertraut. Es nützt nichts, dass wir uns das Wort Jesu immer wieder vorsagen. Wir müssen auch danach handeln. Wir können nicht warten, bis wir in uns Kraft spüren, wir müssen vielmehr einfach auf das Wort hin tun, was es besagt.

Das Einreden von Schriftworten ist keine billige Technik. Das Tun ist das Experiment, das die Richtigkeit der Glaubenshypothese erweist. Wir wollen die Beweise oft vor dem Experiment unseres Tuns in Händen halten. Mit dieser Einstellung verstellen wir uns die Heilung. Wir wollen uns durch das Wort Gottes selbst erlösen und selbst heilen und erst als Geheilte uns den andern darstellen. Das ist letztlich Unglaube.

Freilich kann man sich auch im Glauben etwas einreden, was nicht stimmt oder was einen Gott nicht näherbringt. Paulus gibt ein Kriterium an, an dem wir erkennen können, ob es eine selbsterdachte Einrede ist oder nicht: es ist das Kriterium der Freude und Liebe, der Gelassenheit und Geduld, des Friedens, der Güte, Freundlichkeit und Treue (vgl. Gal 5,22). Ein Hauptkennzeichen, ob der Glaube echt ist, ist das Nicht-Richten, der Glaube an den guten Kern in jedem Menschen. Wenn einer durch seine Einbildungen eng wird und andere verurteilt, ist es immer ein Zeichen, dass er sich nicht dem Wort Gottes geöffnet hat, selbst wenn er seine Worte in Worte der Schrift kleidet. Um mit meinen Einreden nicht auf den Holzweg zu geraten, bedarf es einer geistlichen Führung.
Der­ ­geistliche Vater erkennt sehr schnell, ob ich mit dem Vorsagen von Bibelstellen nur meine Wünsche erfüllen will oder aber, ob ich mich durch die ständige Meditation von Schriftworten in den Geist der Schrift einübe und mich in Gottes Gegenwart stelle, um mich von ihm heilen zu lassen.

Das Verständnis des Glaubens als eines So-tun-als-ob entspricht durchaus dem der Heiligen Schrift, etwa des Hebräerbriefes, der den Glauben definiert als Feststehen in dem, was man erhofft (Hebr 11, 1). Wenn wir den Glauben so verstehen, dann befreit er uns vom Leistungsdruck, dem Glauben, immer etwas spüren zu müssen. Sicher braucht der Glaube Erfahrung. Aber heute besteht oft ein Erfahrungsdruck, der allen ohne diese Erfahrung ein Gefühl der Minderwertigkeit einimpft. Glaube als So-tun-als-ob befreit uns davon.

Auch wer nicht glauben kann, kann den Versuch machen. Er kann einfach mal probieren, nach Worten Jesu zu leben, oder mit der Zusage: „Siehe ich bin bei dir.“ Wir können durch solche Worte nichts in uns erzwingen. Aber wenn wir auf unsere intellektuellen Abwehrversuche verzichten, kann in uns das Vertrauen wachsen, dass es stimmt.

Die Definition des Hebräerbriefes Glaube ist das Feststehen in dem, was wir erhoffen, weist noch in eine andere Richtung. Wir sehen die Gegenwart von der Zukunft Gottes her. Wir sehen uns selbst von Gottes Möglichkeiten her und bleiben nicht fixiert auf unsere Schwächen und Wunden. Wir leben nicht mehr von der Vergangenheit, sondern von der Zukunft Gottes mit uns, davon, dass wir in Christus ein neuer Mensch geworden sind, dass der Geist Gottes uns bewohnt und unsere sündige Vergangenheit abgetan ist.

Im Glauben sehen wir auch unsere Mitmenschen von den Möglichkeiten her, die Gott mit jedem Menschen hat. Und wir sehen die ganze Welt von Gottes Verheißungen her. Die Verheißung des Friedens bei den Propheten ist dann keine leere Phrase. Wir brauchen nicht alles selbst zu schaffen, weder bei uns selbst noch in unserer Welt. Wir sollten Gottes Verheißungen trauen. Gott hat mit uns und unserer Welt mehr Möglichkeiten, als wir uns ausdenken können. Wenn wir so tun, als ob seine Zusagen stimmen, können wir freier leben. Mitten in der Enge nehmen wir eine andere Wirklichkeit wahr und leben von ihr her. Das ist keine Flucht vor der Realität in eine Idylle göttlicher Verheißungen, sondern ein Leben aus dem Glauben, der sich vom Faktischen nicht täuschen lässt.

Noch von einem anderen Druck will uns der So-tun-als-ob-Glaube ­befreien, von dem Druck des schlechten Gewissens. In mir steckt ­Unlust zum Beten. Ich hänge an vielem, was mit Gott nicht zusammenhängt. Das soll ich ruhig zugeben: Ja, das ist in mir. Aber in mir ist zugleich auch jene andere Realität wie es in dem Wort aus Ez 37, 14 heißt: Ich lege meinen Geist in euch, dass ihr lebendig werdet. Ich brauche den Ungeist nicht erst aus mir zu vertreiben, sondern ich darf mitten in meinem Ungeist auch an den Geist Gottes in mir glauben. Die Frage ist, wem ich mehr zutraue. Wenn ich mir das Wort aus Ezechiel vorsage, dann verlege ich das Schwergewicht meiner Aufmerksamkeit auf den Geist Gottes in mir. Mitten in meiner Schwäche glaube ich, dass der Geist Gottes in mir ist. Ich darf mitten in meiner Leere dem Geist Gottes in mir trauen. So führt der Glaube zu Gelassenheit und Ruhe.

Die Angst ist genauso noch in mir. Aber auch der Geist Gottes ist in mir und ihm darf ich trauen und aus meiner Angst heraus mich an Aufgaben wagen, vor denen ich sonst zurückschrecken würde. Wie gut ich selbst dabei wegkomme, ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass Gottes Geist in mir zum Zuge kommen kann. Wir glauben zumindest theoretisch, dass das Wort Gottes unser Leben zu heilen vermag. Diesen theo­retischen Glauben versuchen wir in den positiven Einreden vom Kopf ins Herz rutschen zu lassen. Daher ist dieses Verständnis des Glaubens durchaus rational zu verantworten.

Wenn wir einfach so tun, als ob alles stimmt, was uns der Glaube sagt, dann halten wir uns nicht darüber auf, wie wir eigentlich glauben müssten, sondern wir probieren mit all unseren Zweifeln und unserem Unglauben, unserer Unlust den Glauben aus. Wir wissen, dass der Glaube nie ein Besitz sein wird, den wir sicher in Händen halten und vorweisen können. Wir können den Glauben immer nur ausprobieren. Ein Weg ist, das Wort Gottes in uns wirken zu lassen. Wir geben ihm Raum in uns in der Hoffnung, dass es uns verwandeln wird. Doch wir schauen nicht ungeduldig aus nach unserer Verwandlung. Es genügt uns, zu erfahren, dass es sich lohnt, so zu tun als ob. Gottes Kraft kommt in unserer Schwachheit zur Vollendung, sagt Paulus (2 Kor 12, 9).

Aus: Einreden. © Vier Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach, S. 64-74, gekürzt.

Pater Anselm Grün, geboren 1945, Dr. theol., ist Mönch der Benediktinerabtei Münsterschwarzach.

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