Sorglos wachsam – Rechnen mit der Erneuerung der Welt

Gerhard Ruhbach –

Immer wieder haben sich Christen verführen lassen, die Wiederkunft ihres Herrn und damit die Wiederherstellung der Welt nach dem Schöpfungsplan ­Gottes zu berechnen und mit konkreten Daten zu versehen. Widerlegt durch die Geschichte haben sich die einen enttäuscht zurückgezogen, die anderen aber völlig aufgehört, mit der Wiederkunft Christi und der Erneuerung der Welt überhaupt zu rechnen. Beide Einstellungen entsprechen geistlichem Leben nicht. Denn in der Heiligen Schrift wurde zwar vor Datumsberechnungen gewarnt und stattdessen zu Wachsamkeit aufgerufen, aber das endgültige, aller Welt sichtbare Anbrechen des Gottesreiches – quer durch das biblische Zeugnis hindurch – verkündet.
Dies geschieht nicht um endzeitlicher Spekulationen dieser oder jener Art willen, sondern damit Christen ihre Situation in dieser Welt deutlich einschätzen und so in ihr leben. Paulus formuliert prägnant:

Die Zeit ist kurz. Fortan müssen die, die diese Welt gebrauchen, so leben, als gebrauchten sie sie nicht. Denn das Wesen dieser Welt vergeht. Ich möchte aber, dass ihr ohne Sorge seid (1 Kor 7,29 ff).

Der unbekannte Verfasser des Briefes an den Heiden Diognet beschreibt um 150 n. Chr. Christsein folgendermaßen: „Die Christen wohnen in ihrem ­Vaterlande, aber doch wie Gäste; sie genießen ihr Bürgerrecht, bleiben aber doch Fremdlinge; jede Fremde ist ihnen Heimat, jede Heimat ist ihnen Fremde. Sie leben im Fleisch, aber nicht nach dem Fleisch; sie weilen auf Erden und wandeln im Himmel; sie gehorchen den bestehenden Gesetzen, doch ihr Wandel steht über den Gesetzen. Sie sind arm und machen viele reich; sie können auf alles verzichten und haben an allem mehr als genug.“
Damit wird deutlich: Die Wiederkunftserwartung ­gehört zum Glauben, damit Christen rechten Abstand zu dieser Welt behalten und sich nicht von der Sorge um ihr Leben anstecken lassen. Liebe zu den Menschen sollte nicht in Distanzlosigkeit übergehen, und nie sollten sich Christen mit einer Weltanschauung oder einer Lebensform „verheiraten“, sondern ­offenbleiben und unterwegs, zur Verfügung stehen und abrufbar sein für neue Sendungen und Aufträge.
Geistlich leben heißt also: Organe der Wachsamkeit entwickeln, stellvertretend für andere leben und ­alles, was uns auch an irdischem Besitz anvertraut ist, als Leihgabe betrachten. Indem wir loslassen, werden wir reich. Indem wir uns loslassen, werden wir frei. Indem wir uns Gott und seinen Verfügungen überlassen, werden wir erfüllt mit der hellen Freude an Gott, seiner Gegenwart und seiner wie unserer Zukunft.

In allen Dingen erweisen wir uns als Diener Gottes; als die Unbekannten, und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten, und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber allezeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die, die nichts haben, und doch alles haben (2 Kor 6,4 ff).

Gerhard Ruhbach (1933-1999) war evangelischer Theologe mit Schwerpunkt Spiritualität.
Aus: Gerhard Ruhbach, Geistlich leben, Brunnen Verlag GmbH, Gießen, S. 78-80. www.brunnen-verlag.de

Bild: Photononstop / Alamy Stock Foto
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