Die Wüste als fruchtbarer Ort

Dein Ernst?

Inka Hammond – Geduld ist ein Fremdwort geworden. Und Verborgenheit in Zeiten von Instagram eine Seltenheit. Trotzdem grassiert die Einsamkeit und zwischen all dem Gesehenwerden sind so viele ungesehen. Ich glaube, dass wir verlernt haben, uns zurückzuziehen, unsichtbar zu sein, nur für Jesus da zu sein. Geduldig zu warten, bis wir seine Stimme hören. Deswegen fällt es uns so schwer, uns in die Wüste rufen zu lassen. Der Schmerz darüber, unsichtbar zu sein, übersehen zu werden, wird schnell ertränkt in einer Bilderflut – gefiltert, geschönt, geschnitten.

Kennst du das Gefühl, nicht gesehen zu werden? Du bist näher am Wirken Gottes dran, als du glaubst. Fast jeder Charakter in der Bibel musste eine Phase zwischen Verheißung und der Erfüllung der Verheißung aushalten. Wenn wir in das Leben hineinkommen möchten, das Gott für uns erträumt, dann kommen wir nicht umhin, uns auf die dunklen Wegabschnitte leiten zu lassen.

Als die Israeliten von Gott aus Ägypten befreit worden waren, fanden sie sich in der Wüste wieder. Sie waren auf dem Weg in das verheißene Land, aber schnell war das Wunder des geteilten Meeres vergessen und Murren machte sich breit. Die Israeliten blieben Gott gegenüber skeptisch, sie wollten sofortige Antworten und verspielten damit die Erfüllung ihres Lebens. So sind wir auch. Wir vergessen viel zu schnell, wie wunderbar und einzigartig Gott uns bisher geführt hat.

Der fruchtbarste Ort

Willst du Abenteuer erleben, Leben in Fülle auskosten und übernatürlichen Frieden spüren? Dann führt dich dein Weg durch die Wüste. Aber vergiss nicht: Die Wüste ist in Gottes Reich der fruchtbarste Ort.

Einer meiner Lieblingsverse steht in Hosea 2, 16-17: Doch jetzt will ich ihr freundlich zureden. Ich will sie in die Wüste führen und dort zu ihrem Herzen sprechen. Von dort aus werde ich ihr ihre Weinberge zurückgeben und das Tal von Achor zum Tor der Hoffnung machen. Dort wird sie sich mir anvertrauen, wie sie es in ihrer Jugend tat, als sie aus Ägypten kam.

Ich lese aus diesem Vers zwei wichtige Lektionen heraus:

Erstens: Gott wählt die Wüste als Ort der Begegnung mit uns. Er will dort zu unserem Herzen reden. Warum nicht in einer netten Oase? Gott wählt die Wüste, weil es dort leise ist, es gibt keine Ablenkungen. Das macht uns Angst, denn sobald es still wird, werden wir konfrontiert mit den Stimmen der Anklage, der Lüge, der Angst in uns. In diese Stille hinein will Gott mit uns reden, und wenn wir anfangen, seine Stimme zu hören, dann findet Veränderung statt.

Zweitens: Gott tut in der Wüste Wunder. Wir erfahren in der Wüste, wie uns das, was uns kaputtmachen wollte, zum Segen wird! Was sich gegen uns richtete, richtet sich nun gegen den Feind. Unsere Wunden werden zu unseren Waffen. Wenn wir uns all dem stellen, was Ägypten uns eingeimpft hat („Wir sind nichts, wir können nichts“) und die Identität des verheißenen Landes annehmen („Wir sind Töchter Gottes, mit Gott ist uns nichts unmöglich“), dann sind wir bereit, in unsere Berufung hineinzukommen.

Wir brauchen die Charakterschule der Wüste, um gefestigt und voller Vertrauen das neue Land zu erobern. Und wenn Gott dann sagt: „Lauf auf dem Wasser“, dann laufen wir und wägen nicht erst lange das Für und Wider ab.

Die Wüste ist der Ort, wo wir lernen, unseren Blick fest auf Jesus zu richten, weil wir mehr denn je erfahren, dass wir es aus eigener Kraft nicht tun können.

Wer in mir bleibt und ich in ihm, wird viel Frucht bringen. Denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun (Johannes 15,4-5).

Immer durch die Wüste

Wenn wir unser Herz weich vor Jesus halten, wird er uns immer wieder zurück in die Wüste führen. Wer denkt, er hätte alles Training hinter sich, sobald er in seiner Berufung angekommen ist, irrt gewaltig. Wir brauchen ein demütiges Herz, das immer wieder seine Liebe und Korrektur empfängt und seine Gegenwart in der Wüste sucht.

Die Wüste erscheint uns so kontraproduktiv: Wie kann man nur an einem so leblosen Ort, wo man ums Überleben kämpfen muss, die Zeit und die Energie aufbringen, um kreativ zu sein? Loszulassen?

Die Antwort lautet: Es geht nicht. Die Wüste verlangt uns alles ab. Aber diese „Täler des Unglücks“ geben uns dafür etwas: eine kompromisslose Abhängigkeit von Jesus! Die Wüste ist für unsere Seele wie der Winter für die Natur.

Es sind die Momente, wo eine scheinbar längst geheilte Herzenswunde aufbricht, wo du dich wieder durch einen Schmerz oder eine Herausforderung durcharbeiten musst, obwohl das überhaupt nicht gewollt war. Eine Krankheit, der Bruch einer Beziehung oder die kleinen Stolpersteine im Alltag: ein erkältetes Kind zu Hause, eine Auseinandersetzung mit dem Ehepartner oder Meinungsverschiedenheiten zwischen Freundinnen. All das katapultiert uns an einen Ort, der die eigene Herzenshaltung entlarvt. Alles in uns scheint sich dann gegen diesen Druck aufzulehnen.

Mittlerweile weiß ich: In den Wüstenzeiten wächst etwas Neues. Ich kann es meistens erst hinterher erkennen, aber es bahnt sich etwas an. Meine Aufgabe in diesen Phasen der Verborgenheit ist es, auf Jesus zu schauen. Nicht vorschnell aus der Wüste ausbrechen und Dinge selbst in die Hand nehmen, sondern still bleiben. Einfach warten.

Immer wieder sind wir überrascht, wenn Gott uns in die Wüste führt. Aber sie ist ein selbstverständlicher Teil der Nachfolge. Selbst Jesus ging dorthin! Bevor er überhaupt mit seinem Dienst begann, führte Gott ihn in die Wüste.

Wüstengeschichten

Vertrauen trotz Widrigkeiten

König David war ein Mann, der die Wüste bestens kannte. Er kannte das Gefühl des Wartens an der Seitenlinie nur zu gut. Als junger Mann wurde er zum König gesalbt und musste sich in den Jahren darauf verstecken und immer wieder um sein Leben bangen. Wie oft fragte er sich wohl, ob Gott ihn vergessen hatte?

Gott beruft uns. Und dann fängt er an, unseren Charakter zu schleifen und unser Herz zu formen. Er prüft uns. Wir brauchen das. Immer wieder müssen wir Ja sagen zu den Wüsten, weil Gott uns gerade hier vor Stolz und Selbstversorgertum bewahrt.

So wie Gott David in der Wüste zum König geformt hat, will er dich in deinen Wüsten zu dem formen, wozu er dich schon längst berufen hat. Lass nicht zu, dass die Wüste dich von Gott wegdrängt, sondern erlaube dieser Zeit, ein tiefes Herzenswerk in dir zu tun.

Als David seine letzte große Prüfung durchläuft, scheint sich alles gegen ihn zu wenden. Die Amalekiter zerstören sein Lager und verschleppen Frauen und Kinder. Sogar seine eigenen Männer spielen mit dem Gedanken, ihn zu steinigen (2 Samuel 30). Und was macht David? Er wendet sein Herz Gott zu: Doch David fand neue Kraft im Vertrauen auf den Herrn, seinen Gott (2 Samuel 30,6).

Das will und soll die Wüste auch in deinem Leben bewirken: Anbetung trotz Schwierigkeiten, Vertrauen trotz Widrigkeiten, Hoffnung trotz Widerständen.

Vom Angsthasen zum Draufgänger

Ich liebe die Geschichte von Gideon. Wir lernen ihn kennen, als er heimlich Weizen drischt, um es vor den Midianitern zu verstecken (Richter 6). Ein Engel des Herrn grüßt Gideon so: Der Herr ist mit dir, tapferer Held! (Vers 12). Ein nicht ganz passender Gruß für einen Mann, der sich vor seinen Feinden versteckt. Doch Gott ruft in Gideon genau das hervor, was er schon in ihm sieht. Gottes Auftrag und Verheißung für ihn sind: Geh mit der Kraft, die du hast, und rette Israel vor den Midianitern. Ich sende dich aus! (Vers 14).

Gott sieht auch in dir bereits einen tapferen Helden, selbst wenn dein Leben bisher eine andere Geschichte erzählt. Vielleicht ist deine Antwort ähnlich wie die von Gideon: Aber mein Herr, womit kann ich Israel retten? Meine Sippe ist die schwächste im ganzen Stamm Manasse und ich bin der Jüngste in meiner Familie! (Vers 15). Mit anderen Worten: Ich bin nichts, ich kann nichts, ich tauge zu nichts. Das wurde Gideon sein Leben lang eingeimpft und diese Identität hatte er angenommen. Doch Gott hatte andere Pläne mit ihm und vielleicht hat er auch ganz andere Pläne für dein Leben.

Im Kapitel danach lesen wir, wie Gideon seine Armee von 32 000 Mann auf 300 reduziert. Gideon hat gelernt, Gott zu vertrauen, und traut ihm alles zu. Und sein Vertrauen wird belohnt: Mit dieser kleinen Armee besiegt er die Midianiter! Gideon wird mutig und risikobereit, weil er anfängt zu glauben, was Gott, der Herr, über ihm ausspricht.

Dazu musste Gideon sich, um zu dem Mann zu reifen, den Gott ihn ihm sah, von seiner Vergangenheit distanzieren. Gideon litt darunter, dass seine Familie schwach war. Doch Gott kümmert sich nicht um familiäre Systeme. Seine Aussagen über uns wiegen mehr als alles, was unsere Familien, Freunde, Arbeitskollegen jemals über uns sagen können. Gideon ist mutig und stellt sich offen gegen seinen Vater, als er den Altar einreißt, den der dem Baal gebaut hat, und stattdessen Gott ein Opfer bringt. Manchmal müssen wir uns ganz bewusst von dem distanzieren, was uns als normal eingebläut wurde, und uns dort positionieren, wohin Gott uns ruft. Solange wir in den Gedankenmustern hängen bleiben, die uns von anderen Menschen eingeimpft wurden, werden wir nicht frei und mutig träumen können.

Den Träumen Gottes nachjagen

Träumer sind oft einsam. Mose hatte eine große Gemeinde mit Millionen von Menschen. Nur zwei von ihnen sahen das verheißene Land. Petrus war in einem Boot voller Männer. Nur er stieg aus und lief auf dem Wasser. Hunderte, Tausende von Menschen wurden direkt von Jesus berührt, geheilt und geliebt. Nur vier standen vor dem Kreuz. Es ist nie die Masse, die den Träumen Gottes nachjagt.

Meine Wüstenzeiten waren wichtig. Wenn vorzeitig Licht auf einen noch nicht entwickelten Film fällt, werden alle Bilder zerstört. Wenn wir zu schnell gesehen werden wollen, zu sehr danach gieren, Anerkennung von anderen zu erhalten, wird unser Lebensfilm zerstört werden. Es braucht die Zeit in der Dunkelkammer. Es braucht dieses Ausharren in seiner Gegenwart, das Ja zur Charakterformung, die Hingabe zu seinen Füßen. Die Selbstverliebtheit muss weichen, die eigenen Pläne müssen geopfert werden. Es geht nicht um dich oder mich. Es geht um Jesus.

Wie sehr war ich noch vor wenigen Jahren darauf bedacht, was andere über mich denken. Bin ich davon befreit? Nein. Aber die Zeiten in der Dunkelkammer haben mich gelehrt, dass ich mich niemals auf mich verlassen darf, dass ich nur auf einem Grund stehen kann, und dieser Grund ist Jesus.

Die Wüste, die Dunkelkammer befreit uns von uns selbst. Wir müssen frei werden von uns, damit wir befreit den Träumen Gottes für unser Leben nachjagen können. Erst wenn wir begriffen haben, dass es nicht um uns geht, nicht um unseren Ruf, nicht um unsere Vorstellungen, erst dann sind wir bereit, das zu empfangen, was auf Gottes Herzen ist.

Gott musste so viel von meinem Herzen abschleifen und es gibt noch so viel, was abgeschliffen werden muss. Je näher ich an sein Herz wachse, desto mehr erkenne ich, wie hilflos und arm ich ohne ihn bin. Das ist die wahre Reife eines Christen: die Tiefe seiner Abhängigkeit zu Jesus. Nicht das, was wir leisten, zählt, sondern wie kompromisslos unser Herz auf ihn ausgerichtet ist.

Das musste ich in der Wüste lernen. Und das muss ich immer neu lernen. Es ist immer verbunden mit Tränen und Schmerz. Trotzdem sind mir diese Momente in der Wüste, alleine mit meinem Erlöser, die wertvollsten. Dort in seinen Armen, vollkommen angenommen, vollkommen geliebt, da will ich sein.

Ja, alles andere erscheint mir wertlos, verglichen mit dem unschätzbaren Gewinn, Jesus Christus, meinen Herrn zu kennen. Ich habe alles andere verloren und betrachte es als Dreck, damit ich Christus habe und mit ihm eins werde. Ich verlasse mich nicht mehr auf mich selbst oder auf meine Fähigkeit, Gottes Gesetz zu befolgen, sondern ich vertraue auf Christus, der mich rettet. Denn nur durch den Glauben werden wir vor Gott gerecht gesprochen (Philipper 3,8-9).

Lässt du dich in die Wüste rufen? Du wirst die Welt verändern.

Aus: Tochter Gottes, erobere die Welt. SCM R. Brockhaus 2020, S. 102-121, gekürzt

Inka Hammond (Jg. 1981) leitet gemeinsam mit ihrem Mann Jeremy die Organisation ‚free!ndeed‘, verfasst Onlinekurse für Frauen und ist Sprecherin auf Konferenzen. Sie lebt seit 2021 in den USA.

Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2023: Achtung! Dieses Heft ist eine Zumutung!
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