Nimm deinen Platz ein! – Gott mehr gehorchen als den Menschen

Jeppe Rasmussen –

Die Geschichte von Schifra und Pua

Die Ägypter setzten Aufseher ein, um die Israeliten mit Fronarbeit unter Druck zu halten. Die Männer mussten für den Pharao die Vorratsstädte Pitom und Ramses bauen. Aber je mehr man die Israeliten unterdrückte, desto zahlreicher wurden sie und desto mehr breiteten sie sich aus. Den Ägyptern wurde das unheimlich. … Doch nicht genug damit: Der König von Ägypten ließ die beiden hebräischen Hebammen Schifra und Pua rufen und befahl ­ihnen: „Wenn ihr den hebräischen Frauen bei der Geburt beisteht, dann achtet darauf, ob sie einen Sohn oder eine Tochter zur Welt bringen. Die männlichen Nachkommen müsst ihr sofort umbringen, nur die Mädchen dürft ihr am Leben ­lassen.“ Die Hebammen aber gehorchten Gott und befolgten den Befehl des Königs nicht. Sie ließen auch die Söhne am Leben. (2 Mo 1,11-17, Gute Nachricht Bibel)

Gottes Heilsgeschichte

Es ist im Grund fast wie in Hollywood, es mutet wie ein Märchen an: Der mächtigste Mann der Welt beordert zwei unbedeutende hebräische Hebammen in sein Besprechungszimmer, weil er etwas von ihnen will.

Da ließ der König die Hebammen kommen und fragte sie: „Warum widersetzt ihr euch meinem ­Befehl und lasst die Jungen am Leben?“ Sie antworteten dem Pharao: „Die hebräischen Frauen sind kräftiger als die ägyptischen. Bis die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie ihr Kind schon längst zur Welt gebracht.“ So vermehrte sich das Volk Israel auch weiterhin und wurde immer mächtiger. Gott aber ließ es den Hebammen gut gehen. Weil sie ihm gehorcht hatten, schenkte er ihnen zahlreiche Nachkommen. Nun gab der Pharao seinem ganzen Volk den Befehl: „Werft jeden Jungen, der den ­Hebräern geboren wird, in den Nil! Nur die Mädchen dürfen am Leben bleiben.“ (2 Mo 1,18-22)

Wie würde es uns da ergehen? Die ganz Geistesgegenwärtigen würden vielleicht ein Selfie mit ihm machen wollen. Aber viele von uns wären vermutlich vor Ehrfurcht erstarrt, ich glaube, so wäre es mir ergangen. Und man stelle sich dann vor, dieser mächtigste Mann der Welt würde ­etwas von einem verlangen, was man unter keinen Umständen tun möchte, weil es gegen alles spricht, wofür man steht und man sein Leben eingesetzt hat. Töten statt ins Leben bringen. Menschenleben ein Ende setzen, statt einen Anfang ermöglichen. Und bei Nicht-Gehorsam das eigene Leben riskieren. Das ist das Dilemma, in das uns diese Geschichte hineinnimmt.
Zugleich nimmt uns der Text in den Anfang der Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk Israel hinein. Gottes Handeln, Reden und Umgang mit Israel und seine Forderungen an dieses Volk sollen uns lehren, wie Gott seine Heilsgeschichte auch in unserem Leben wirken lassen will. Denn dieses Handeln Gottes vollzieht sich zugleich im großen Bogen der Generationen und der Völker und im alltäglichen Leben und Arbeiten Einzelner. Schauen wir uns zuerst den Text etwas näher an:

Zusammen mit Jakob, der auch Israel heißt, waren elf seiner zwölf Söhne mit ihren Familien nach Ägypten ausgewandert, nämlich: Ruben, Simeon, Levi und Juda, Issachar, Sebulon und Benjamin, Dan und Naftali, Gad und Ascher. Josef war schon vorher nach Ägypten gekommen. Insgesamt waren es mit Kindern und Enkeln siebzig direkte Nachkommen Jakobs (2 Mo 1,1-5a).

Zunächst werden die zwölf Söhne Jakobs bzw. ­Israels genannt. Es geht also um den Anfang der Heilsgeschichte Gottes mit diesen zwölf Stämmen Israels. Es ist nicht mehr nur die Geschichte Gottes mit einzelnen Menschen, mit Abraham, Isaak und Jakob, sondern ab jetzt ist es die Heils­geschichte Gottes mit einem, mit seinem auserwählten Volk. Dieses Volk ist gleichsam die Keimzelle einer neuen Menschheit, die letztlich alle Menschen in das Heilsgeschehen Gottes hineinnehmen soll – ganz wie es Gott Jakob versprochen hatte: Ein Volk und eine Menge von Völkern sollen von dir kommen, und Könige sollen aus ­deinen Lenden hervorgehen (1 Mo 35,11).      
Nach dieser Einordnung macht der Text einen großen Sprung. Josef, seine Brüder und „alle, die zu der Zeit gelebt hatten“, sind nun gestorben. Doch der verheißene Segen Gottes in der Form von Kindern, von Nachkommen, liegt nach wie vor auf den Israeliten. Vers 7 gebraucht ganze fünf verschiedene Ausdrücke dafür: Die Israeliten ­waren fruchtbar, sie vermehrten sich, nahmen überhand, wurden zahlreich und füllten das Land. Gott ist der Gott des Lebens, der schöpferischen Fruchtbarkeit und genau darin bestand seine Verheißung auch an Abraham! Ich will dich zu einem großen Volk machen (1 Mo 12,2). Und ich will deine Nachkommen machen wie den Staub auf Erden. Kann ein Mensch den Staub auf Erden zählen, der wird auch deine Nachkommen zählen (1 Mo 13,16). Und er hieß ihn hinausgehen und sprach: Sieh gen Himmel und zähle die Sterne; kannst du sie zählen? Und sprach zu ihm: So zahlreich sollen deine Nachkommen sein! (1 Mo 15,5) Und ich will dich sehr fruchtbar machen und will aus dir Völker machen und Könige sollen von dir kommen (1 Mo 17,6).

Drohendes Unheil

In diese Situation hinein kommt nun „ein neuer König auf in Ägypten“, der „wusste nichts von ­Josef“. Er kennt mit anderen Worten die Geschichte seines eigenen Landes nicht, er weiß nichts davon, dass das ägyptische Volk einst von Josef, dem Sohn dieses Israels, vor der Hungersnot gerettet wurde. Aber er kennt auch die Geschichte der Fremdlinge nicht, die bei ihm wohnen; oder er ­erkennt die Rolle, die Josef früher gespielt hatte, nicht an, spielt sie womöglich herunter oder erklärt sie für gänzlich unbedeutend. Doch ihm ist bewusst, dass Gosen nicht das eigentliche Zuhause dieses Volkes ist: Wir müssen etwas unternehmen, damit sie nicht noch stärker werden. Sie könnten sich sonst im Kriegsfall auf die Seite unserer Feinde schlagen, gegen uns kämpfen und dann aus dem Land fortziehen (2 Mo 1,10).
Der König von Ägypten entschließt sich deshalb dazu, etwas gegen dieses Volk zu unternehmen: Darum ließen sie die Männer Israels als Sklaven für sich arbeiten, misshandelten sie und machten ihnen das Leben zur Hölle. Sie zwangen sie, aus Lehm Ziegel herzustellen und harte Feldarbeit zu verrichten (2 Mo 1,13-14). Das einst wohl angesehene Gastvolk, das vermutlich als Hirten für den Pharao diente, wurde zum Sklavenvolk gemacht und zum Frondienst gezwungen. Wie schwer dieser Frondienst und diese Arbeit waren, betont der Text durch die Mehrfachnennung: Fronarbeit, ­unter Druck, machte ihnen das Leben zur Hölle, misshandelten sie als Sklaven, zwangen sie zur ­Arbeit.
Doch auch in dieser leidvollen Situation lässt der Segen Gottes nicht nach: Sie mehrten sich stärker und breiteten sich aus. Welch ein Trost ist darin für uns heute vorhanden: Auf menschlichen Druck antwortet Gott mit Segen. Und zugleich gilt offensichtlich: Auf Gottes Segen antwortet von Seiten der Mächtigen der Welt noch größerer Druck auf sein Volk. Denn der mächtigste Mann der damaligen Welt, der ägyptische Pharao, erteilt einen heimlichen Befehl, das israelitische Volk an der Wurzel auszureißen. Es ist bemerkenswert, dass dieses heimliche, verborgene, hinterlistige Vorgehen Pharaos direkt auf die Quelle des Segens Gottes gerichtet ist: Auf die Fruchtbarkeit des Volkes. Es entwickelt sich hier ein Kampf zwischen Leben und Tod, zwischen dem Tötungswillen und -befehl Pharaos auf der einen Seite und dem Schöpfer des Lebens und seinem Gebot und seiner Segensverheißung der Nachkommenschaft auf der anderen.

Mitten hinein in diesen tückischen Plan Pharaos geraten zwei Hebammen, Schifra und Pua. Ihnen wird der Befehl erteilt, bei der Geburt die Söhne zu töten, die Töchter aber am Leben zu lassen. ­Ihre Gottesfurcht lässt sie aber anders handeln.

Ziviler Ungehorsam

Was sie genau getan haben, wissen wir nicht, auf jeden Fall haben sie die Jungen nicht getötet. Auf den Vorwurf Pharaos gaben sie eine Antwort, die beherzigt, was Jesus geraten hat: Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben (Mt 10,16). Denn ihre Antwort erhält sie am Leben. Später wird uns berichtet, dass Gott auch sie mit Nachkommen segnet! Pharaos erstem Befehl ging eine Lüge voraus: Das Volk der Israeliten sind mehr und stärker als wir. Den Segen Gottes für Israel reduzierte Pharao zu einer Bedrohung für das ägyptische Volk. Schifra und Pua antworteten dem Pharao ganz in diesem klischeehaften Denken: Die hebräischen Frauen sind nicht wie die ägyptischen, denn sie sind kräftige Frauen. Und Pharao nimmt ihre Antwort für bare Münze. Vielleicht haben sie auch alle Hebammen angewiesen, ganz kurz bevor das Kind kommt, das Zimmer zu verlassen. Und bei der Rückkehr der Hebamme war das Kind dann schon da. So oder so, klar ist auf jeden Fall, dass Schifra und Pua sich nicht haben instrumentalisieren lassen. Sie, deren Namen auf Hebräisch Schönheit und Glanz bedeuten und die von Beruf Lebenshelfer waren, haben sich nicht zu einer Tötungstruppe machen lassen, sondern sich dem – nach der Staatsräson handelnden – Pharao widersetzt und aus Ehrfurcht vor dem Gott des Lebens Verantwortung übernommen.

Sie hätten sich auf die so oft verwendete Formel im Angesicht von Befehlen der Mächtigen berufen können: „Wir haben nur unsere Pflicht getan. Wir taten nur, wie uns geheißen wurde.“ Doch ihre Gottesfurcht lässt sie anders handeln. Sie glaubten an die Verheißungen Gottes: Gott wird uns Kinder schenken, uns zu einem großen Volk machen. Diese großartige und doch so schlichte Verheißung war alles, was ihren Glauben ausmachte. Noch gab es keinen Exodus, keine Pessahfeier, kein Laubhüttenfest, kein Schawuot. Dem Volk waren keine zehn Gebote gegeben worden, und es hatte weder Bundeslade noch Stiftshütte, von ­einem Tempel Gottes ganz zu schweigen. Alles, was sie im Glauben tapfer ergreifen konnten, waren die Verheißungen Gottes an Abraham, Isaak und Jakob: Du sollst zu einem großen Volk werden. Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein – für alle Völker. Ihre Ehrfurcht vor diesen Verheißungen ließ sie wissen: Wir sind gerufen, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Und sei es dem Pharao!

Wer hält stand?

Die beiden waren ganz einfache Menschen. Sie sind nicht erwählt worden, wurden nicht für die Aufgabe gecastet, hatten keinen Uniabschluss, ­waren nicht Firmengründer oder Influencer mit einer hohen Follower-Zahl bei Instagram. Es ­waren zwei einfache Menschen, die in ihrem Beruf für das Leben Verantwortung übernommen haben. Um an Gottes Heilsgeschichte mitzu­wirken, kommt es nicht auf meinen Rang an.

Ihr Platz war nicht zufällig. Auch wenn sie nicht mit dem politischen Spiel der Mächtigen bekannt und vertraut waren, haben sie doch ihren Platz eingenommen und soweit es an ihnen lag, auch mitgestaltet. Die Botschaft für uns lautet: Nimm deinen Platz ein, da, wo du bist – es gibt immer ­eine Dimension der Verantwortung und des Mitgestaltenkönnens.

Ihre Gottesfurcht hat ihnen gezeigt, wie sie zu handeln haben: Ihre Ehrfurcht vor dem Gott des Lebens und seinen Segensverheißungen war Schifra und Pua wichtiger als der Befehl des mächtigsten Mannes der Welt. Im Angesicht des Bösen haben sie nicht an Gottes Verheißungen gezweifelt.

Sind wir uns Gottes Verheißungen bewusst? Haben wir unser Herz und Gewissen so stark von ihm prägen lassen, dass auch wir im Angesicht des Bösen bereit sind, unser Handeln nach seinen Verheißungen auszurichten?

Wir müssen uns nicht vor den Pharaonen dieser Welt fürchten. Schifra und Pua haben ihren Platz eingenommen, sie haben getan, wozu sie gerufen und berufen waren. Sie haben sich entschieden, Gott mehr zu gehorchen als Pharao, dem Leben zu dienen und nicht dem Tod. Dafür hat sie Gott gesegnet.

Die Geschichte hat aber nicht einfach ein Happy­end, sie geht nicht im Sinne Hollywoods glücklich aus: Am Ende steht der öffentliche Befehl Pharaos an alle Ägypter, die hebräischen Jungen zu töten. Das ist der Auftakt zum zweiten Kapitel im Buch Exodus. Nicht menschliches Handeln hat die ­Israeliten aus Ägypten befreit. Gott ist ihr Befreier. Er hat auch uns von der Macht des Bösen gerettet. Letzten Endes kommt es nicht auf mich an, auf mein Handeln, auf meine Verantwortung. Gott gebraucht uns Menschen, jawohl, aber am Ende ist Er es selber, der seine Heilsgeschichte schreibt. „Er sitzt im Regimente und führet alles wohl.“

Jeppe Rasmussen (OJC) leitet das Deutsche Institut für Jugend und Gesellschaft. Er ist verheiratet und hat vier
Kinder.

Bild: Alex Linch / Alamy Stock Foto
Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2019: Nimm deinen Platz ein – Vorbilder in der Nachfolge
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