Frau und Mädchen mit verschränkten Armen auf Sofa

Wie nun weitergehen? – Verletztes Vertrauen, echte Vergebung

Antje Vollbrecht –

Die Wahrheit wird euch frei machen (Joh 8,32), sagt Jesus. Meine Erfahrung ist: die Erkenntnis der Wahrheit über mich selbst macht frei. Ich gebe zu: der Erkenntnisprozess ist zuweilen äußerst schmerzhaft. Was ich da zu sehen bekomme, ist oft nicht besonders schön.

Ein Beispiel. Familienfeier, Aufregung, Anspannung. In Richtung meiner Nichte (10 Jahre alt) fallen böse Worte von mir. Ich reise ab. Die Worte, die ich gesagt habe, verfolgen mich. Im Kopf jagt eine Rechtfertigung die nächste.

Ich entscheide mich, mit der Selbstrechtfertigung aufzuhören. Dann wage ich, der Wahrheit über mich ins Auge zu blicken: Ich habe meiner Nichte nicht geglaubt, als sie etwas zu mir sagte, und sie der Lüge bezichtigt. Sie hatte aber nicht gelogen, sie hatte die Wahrheit gesagt! Also hatte ich meiner Nichte erstens nicht geglaubt, sie zweitens falsch beschuldigt und das drittens darüber hinaus laut vor mehreren Leuten. Damit hatte ich sie sehr verletzt und unserer bis dahin von Liebe, Zuneigung und Vertrauen geprägten Beziehung schwer geschadet. Das war die Wahrheit über mich, und die war nicht schön.

Wie nun weitergehen? Es tat mir unendlich leid, sie so verletzt zu haben, ihr Schmerz und ihre Tränen. Leider sind einmal ausgesprochene Worte nicht wieder rückgängig zu machen.

Da half nur noch Beichte bei Jesus und die Beziehung zur Nichte wieder in Ordnung bringen. In eben dieser Reihenfolge. Ich ging zu dem, der selbst die Wahrheit ist. Bekannte, was ich über mich erkannt hatte. Bat ihn um Vergebung. Dass Er mich freimacht von der Schuld. Dass ich neu anfangen darf – auch in der Beziehung zu meiner Nichte. Dass ich auch mir selbst verzeihen kann. Beides ist mir geschenkt worden.

Danach schrieb ich einen Brief an meine Nichte und bat sie um Entschuldigung. Zu meinem unverdienten Glück hat sie mir verziehen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Es ist ein mehrfaches Treffen auf Wahrheit und ein mehrfaches Freimachen:

  1. Ich treffe auf die Wahrheit über mich selbst. Nein, ich bin nicht so perfekt und fehlerlos, wie ich gerne wäre. Ich gestehe meine Erlösungsbedürftigkeit ein. Es ist eine Befreiung, um Vergebung zu bitten, falschen Stolz zu lassen und aufzuhören, für mein schlechtes Tun alle möglichen Rechtfertigungen zu finden, die es doch noch in besserem Licht erscheinen lassen könnten.
  2. Ich treffe auf Jesus, der die Wahrheit ist. Er setzt mich frei von meiner Schuld. Er befreit, neu anzufangen – mit Jesus selbst und in der Beziehung zum anderen Menschen. Es ist die Befreiung, zu Ihm wieder den Kopf erheben zu können.
  3. Ich bekenne die Falschheit meines Tuns gegenüber dem, den ich verletzt habe. Das ist die Befreiung/Bereinigung unserer Beziehung. Wir können uns wieder frei in die Augen schauen.

Antje Vollbrecht (OJC) ist Juristin. Sie gehört zum Priorat der Kommunität.

Bild:©Iakov Filimonov / dreamstime.com
Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2022: Wahrheit wagen
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