Allein? Zu zwein?

Das Leben gestalten – mit oder ohne Partner

Birte Undeutsch: Judith, magst du dich vorstellen?

Judith Heymann: Ich bin seit zwölf Jahren mit Simon verheiratet, wir haben drei Kinder, zehn, sieben und fünf Jahre alt. Wir leben auf Schloss Reichenberg, Simon und ich sind vor zwei Jahren in die Kommunität eingetreten.

BU: Und du, Ursula?

Ursula Räder: Ich lebe seit 26 Jahren in der OJC-Gemeinschaft. Als ich kam, suchte ich nach einer Lebensform, in der ich als Single-Frau ohne Ehe und Familie dennoch verbunden mit andern leben kann. Inzwischen habe ich überlegt, ob ich nicht mal mein „silbernes Single-Jubiläum“ feiern soll?

BU: Ursula, geht Glücklichsein ohne Mann?

UR: Kurz gesagt: Ja, geht! Manchmal mehr, manchmal weniger gut. Frecherweise würde ich die Frage mal umgekehrt stellen wollen: Geht Glücklichsein mit Mann? Vielleicht wäre die Antwort darauf gar nicht so anders … Natürlich denke ich oft: Jetzt wär´s halt schon schön, einen Mann an der Seite zu haben …! Und doch gibt es in meinem Leben viel Gutes, das mich glücklich macht, auch viele tiefe und bereichernde Beziehungen.

BU: Auch zu Männern?

UR: Auch zu Männern! Ich bin in einer Lebensphase, in der ich nicht mehr so viel nach vorne entscheide, sondern lebe, was ich entschieden habe, und ich bin mit meinen Entscheidungen einig. Das Leben in der Gemeinschaft ist sinnstiftend. Das ist wesentlich zum Glücklichsein, mehr als die Frage nach mit oder ohne Partner.

BU: Judith, wie geht dir das?

JH: Ich kann nur zustimmen. Ich habe mit 26 geheiratet, kenne also auch das Singlesein. Aber ich wusste schon vorher, dass ich auch ohne Mann glücklich sein können möchte. Es ist gut, wenn man zufrieden ist mit seinem Leben und es selbst gestaltet. Der Mann kommt dann schon, wenn es denn sein soll.

BU: Hast du denn als Kind davon geträumt, Ehefrau und Mutter zu werden? Ist das in deinem ­Lebensplan vorgekommen?

JH: Ich habe nicht unbedingt danach gestrebt, ich habe generell mein Leben nicht so durchgeplant. Aber ich hatte schon klassisch die Vorstellung, dass ich irgendwann eine Familie haben würde.

BU: Aber es war für dich auch klar, dich beruflich gut aufzustellen? Du bist Archivarin.

JH: Natürlich. Mir war völlig klar, dass ich nach Beendigung der Schule einen Beruf erlernen will und muss. Ich finde es sehr gut, dass ich erwerbstätig war, bevor Kinder kamen. Unseren kleinen Kindern wollte ich allerdings auch in den ersten Lebensjahren eine sichere Basis als Mutter und Hausfrau geben. So kannte ich es von meinem Zuhause und ich bin froh, dass ich es in der OJC leben kann.

BU: Ursula, gehörte Heirat und Partnerschaft zu deiner Lebensplanung oder war dir früh klar, dass du eine Berufung zur Ehelosigkeit hast?

UR: Zum Thema Berufung zur Ehelosigkeit hätte ich einen eigenen Vortrag! Die Nuss musste ich wirklich erst knacken. Ich hatte die ganz gängige Vorstellung, dass ich den Mann meines Lebens finde, der mich dann lieben und auf Händen tragen würde. Das Allerschlimmste, was ich mir als Teenager vorstellen konnte, war „der Ruf“ zur Diakonisse. Später gab es ein paar Männergeschichten, aber als ich gläubig wurde, war klar, dass man damit nicht spielt. Ich habe mit Anfang 30 nochmal ernsthaft versucht, mich auf Partnerschaft einzulassen, aber die Beziehung ist leider zerbrochen. Das war eine sehr einschneidende Erfahrung, auch in meiner Gottesbeziehung, und ich fragte mich, ob es nicht andere Themen in meinem Leben gibt, mit denen ich mich erstmal beschäftigen sollte.
Heute denke ich, dass es eine Berufung zur Ehelosigkeit nur sehr selten gibt. Die meisten Singlefrauen in meinem Bekanntenkreis sind unfreiwillig Single. Wenn es mit Partnerschaft und Ehe nicht wird, muss man sich damit auseinandersetzen – da beginnt Berufung. Du bist berufen zur Ehe, weil du verheiratet bist. Ich bin berufen zur Ehelosigkeit, weil ich ehelos bin und meine Aufgabe ist es, das zu gestalten. Die Situation, in der ich bin, ist meine Berufung. Die hätte auch anders ausfallen können, könnte sie immer noch. Ich bin erst 63.

BU: Damit wird ja klar, dass Ehelosigkeit nicht eigentlich Teil deiner Persönlichkeit ist. Hast du das Gefühl oder wird dir vermittelt, dass du ehelos weniger wert bist?

UR: Weder Ehefrau- oder Singlesein ist meine Identität. Ich bin Gottes Ebenbild als Frau, genauso wie du oder Judith. Alles, was danach kommt, ist Bewährungsfeld. Es ist sehr wichtig, dass man das voneinander trennt. Singlesein macht mich nicht aus, sondern ich gestalte es. Mit Unwertgefühlen als Single-Frau habe ich lange Zeit gekämpft. Dahinter stand der Anspruch an mich selbst: Du musst das schaffen, einen Mann für dich zu gewinnen, anderen gelingt das doch auch! Die Unsicherheit, dass mit mir etwas nicht stimmen könnte. Auch andere stecken einen schnell in eine bestimmte Schublade. Das ist meine Verantwortung als Single-Frau: diese Gedanken dürfen sich nicht breitmachen.

BU: Judith, wie sehr ist Verheiratetsein Teil deiner Identität?

JH: Ich kann nur unterstreichen, was Ursula gesagt hat. Meine Identität ist in Gott. Ich kenne aber auch dieses Fragezeichen. Gerade in christlichen Kreisen hatte ich oft, bevor ich verheiratet war, das Gefühl, dass Verheiratete mehr gelten als Singles. Ich erinnere mich an Familienfeiern, bei denen ich über zwanzigjährig am Kindertisch saß, weil ich keinen Partner hatte. Da fühlte ich mich abgeschoben. Trotzdem ist Ehefrau mein Stand, aber nicht Teil meiner Identität.

BU: Da möchte ich gleich wissen, ob es möglich ist, unverheiratet zu bleiben, ohne zu denken, ach, hätte ich doch jemanden gefunden?

UR: Gute Frage. Mit 63 bin ich damit schon weiter als vor 20 Jahren. Mein jüngeres Ich hat öfter gefragt, ob ich an einer Stelle hätte anders entscheiden sollen. Ich musste mich mit der Illusion auseinandersetzen, wie viel einfacher und schöner vieles wäre, wenn… Diese Sehnsucht ist teilweise nicht leicht zu bändigen, wie eine Welle wird sie mal schwächer, mal stärker.

BU: Wann wurde das weniger? Oder durch was?

UR: Viel dazu beigetragen hat mein nahes Zusammenleben mit Ehepaaren und Familien in der Gemeinschaft. Das hat mir sehr geholfen, die Illusion zu entlarven. Eine gelingende Ehe ist harte Arbeit. Und auch in der Ehe kann man einsam sein. Jeder Stand hat seine Herausforderungen.

BU: Du kommst abends nach Hause und da ist niemand außer deinen Katzen, mit denen du reden kannst. Reicht dir das?

UR: Ja, natürlich ist es schön, wenn jemand da wäre, der auf einen wartet oder auf andere Gedanken bringt. Diese Momente des ungewollten Alleinseins können schwierig sein. Je früher ich es schaffe, mit meiner Unzufriedenheit und inneren Spannung zu Jesus zu gehen, desto besser. Häufig erlebe ich es aber auch als wohltuend, einfach mal alle Viere von mir strecken zu können und einfach zu tun oder zu lassen, was mir gerade passt.

BU: Judith, wie ist das bei dir?

JH: Von außen stelle ich mir tatsächlich vor, dass Ursula sozusagen immer tun kann, was sie möchte. Bei mir sind die Kinder, die wollen was, und der Mann will was und ich will ja auch was. Ich konnte immer gut alleine sein und kenne die Sehnsucht nach Zeit nur für mich.

BU: Schaffst du dir trotzdem Freiräume?

JH: Mein Mann hat mir von Anfang an ermöglicht, Wochenenden mit meinen Freundinnen zu verbringen. Das genieße ich total. Wir versuchen, uns den Samstagvormittag im Wechsel freizugeben. In den Herausforderungen von Ehe und Familie will ich mir immer wieder bewusst machen, dass ich dankbar bin für meine Situation. Sie ist ja schön.

BU: Ursula, kannst du den Gedanken mit der Dankbarkeit als Ausgleich zu dem, was vielleicht fehlt, unterstützen?

UR: Ich war als sehr junge Frau vier Jahre mit einem Mann zusammen. Damals schon habe ich beobachtet, wie viel Absprache es braucht, um gemeinsam Lösungen oder Wege zu finden. Und ich bin manchen Kompromiss eingegangen, weil mir die Beziehung wichtig war. Als es dann doch zur Trennung kam, war da eine große Freiheit. Manchmal staune ich heute noch darüber, wie groß meine Entscheidungsfreiheit eigentlich ist, manchmal ist sie sogar eine Last. Es kann auch anstrengend sein, immer alles selbst entscheiden zu müssen, z. B. bei der Urlaubsplanung.

BU: Nur weil du alleine bist, heißt das ja nicht, dass du alleine verreisen musst?

UR: Alleine verreisen, länger als eine Woche, ist nicht mein Ding. Aber jemanden zu finden, mit dem man z. B. 14 Tage lang, Tag und Nacht, Wohnraum und Zeit teilt, und noch Spaß miteinander hat – das ist wirklich nicht leicht. Ich habe verschiedene Konstellationen ausprobiert und sehr schöne Entdeckungen gemacht. Wahr ist: Urlaub als Single ist immer etwas, was man sehr aktiv angehen muss.

BU: Wie ist das bei dir mit der ganzen Entscheiderei? Ständige Absprachen gerade mit drei Kindern und dann im Schlossteam?

JH: Die Alltagsdinge sind meist klar und eingetaktet. Da braucht es nicht täglich neue Absprachen. Anstrengender empfinde ich „größere“ Themen wie Erziehung o.ä. Wenn man in diesen Dingen unterschiedlicher Meinung ist oder auch anders geprägt wurde, braucht es längere Diskussionen, um eine gemeinsame Richtung zu finden. Auch über Urlaube müssen Simon und ich sprechen, da wir nicht immer das gleiche wollen.

BU: Dabei könnte bei dir, Ursula, immer noch ein Partner kommen. Du, Judith, hast deine Entscheidung gefällt. Machst du dir manchmal Gedanken darüber, dass du auf dieses Ehefrau-Sein festgelegt bist?

JH: Ich habe mich entschieden und bin auch zufrieden und dankbar. Ich stelle diese Entscheidung im Nachhinein nicht in Frage. Es ist eher die Frage, wie gehe ich mit den Herausforderungen um, in denen ich/wir jetzt stehen. Ich hoffe natürlich, dass wir unsere Ehe mit allen Höhen und Tiefen führen können, ohne zu verbittern. In der Rückschau hat die Ehe-Arbeit bei uns so richtig im achten Jahr begonnen. Ich hatte mich eigentlich immer für ganz toll gehalten. Erst in der Ehe musste ich feststellen, dass ich natürlich auch meine Fehler habe, und die werden gesehen und angesprochen. Es ist demütigend, zu erkennen, dass ich eben nicht alles richtig mache. Und es ist schwer, den anderen nicht immer zu verstehen und gleichzeitig zu merken, dass man selbst auch nicht immer verstanden wird. Wir fühlen und denken oft vollkommen anders. Da beginnt das aktive Wollen, den Partner verstehen wollen, auf ihn zugehen. Sonst kann man schon verbittern. Ich glaube, Ehe kann funktionieren, aber das ist nicht selbstverständlich.

BU: Ursula, wenn du Judiths Leben so von außen betrachtest, hat sie was, was dir fehlt?

UR: Na klar. Die Liebe zwischen Mann und Frau kann man durch nichts ersetzen. Die fehlt mir. Ich gönne sie jedem, der sie hat. Aber das ist ein Bereich im Leben, der mir verschlossen bleibt und den ich manchmal schmerzlich vermisse. Ich habe gute Freunde und auch gute Männerfreundschaften. Und trotzdem ist das etwas anderes. Dabei meine ich nicht nur den Sex, sondern diese gewachsene, erprobte, beständige innige Beziehung mit einem Menschen des anderen Geschlechts. Die Kinderlosigkeit war für mich früher nicht so schmerzlich. Im Älterwerden wird mir deutlich, dass ich eben nicht nur keine Kinder habe, sondern auch keine Enkel; da kommt kein Mensch mehr nach. Das ist hart.
Das persönliche Wachsen in der Ehebeziehung hast du, Judith, gerade sehr schön beschrieben. Du wärst eine andere Judith, wenn nicht dein Simon wäre. Ich habe diesen Menschen nicht, der mich so nackt und bloß sieht, wie ich wirklich bin. Deshalb muss ich dafür sorgen, dass ich bewusst Menschen nah an mich heranlasse, die mir auch mal die unangenehmen Dinge sagen dürfen.

BU: Ich danke euch für den Einblick in euer Werden und Sein.

Ursula Räder lebt seit über 25 Jahren in der OJC-Kommunität, genießt (meistens) das Leben-Teilen mit weiteren interessanten Single-Frauen und Familien und ist dankbar für viele Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, die das gemeinsame Leben bietet.
Judith Heymann lebt mit ihrer Familie auf Schloss Reichenberg in der OJCKommunität. Sie erfreut sich an schönen Dingen und liebt in der Freizeit Handarbeit, in der Sonne lesen und schlafen

Brennpunkt-Seelsorge 2 / 2023: Achtung! Dieses Heft ist eine Zumutung!
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