Collage / privat

Sequere vocem – Folge der Stimme

Eine Pfarrersfamilie zieht nach Greifswald

„Doch klar! Schreibe doch etwas zu eurem Riesen­-Vertrauensschritt!“ Ich höre diese Worte aus dem Munde eines OJClers und gehe kurz in mich: „Was meint er denn eigentlich für einen Schritt? Riesenvertrauen?“ Gefühlt dauert diese Ratlosigkeit zwei Stunden, aber tatsächlich wird mir schon nach ein paar Sekunden klar, worauf hier angespielt worden war. Wir sind ja erst im letzten Sommer hier zur OJC nach Greifswald gekommen. Und darum bin ich nun auch Teil dieses Redaktionsteams. Von dieser Zeitschrift, die ich schon viele Jahre lese und sehr schätze. Und nun soll ich schreiben, wie es dazu kam? Ja, mache ich gern. Um Zeugnis zu geben von Gottes genialen Wegen, die er für uns hat, und damit von Gott selbst, dem wir vertrauen dürfen. Wir brauchen das immer wieder, dass wir uns gegenseitig ­berichten, wie wir Gott erlebt haben oder wo es auch mal schwer war. Ich habe schon so oft von Zeugnissen profitiert und darum stelle ich mich nun als neues Redaktionsmitglied zeugnishaft vor:

Mein Name

ist Jonas Großmann, verheiratet mit der wunderbaren Theresa, beschenkt mit – zu Ostern so Gott will ganz frisch – vier Kindern (Linna, Jesper, Marta und das Ostergeschenk hat noch keinen Namen bzw. wird nicht verraten ;-). Ich war zuletzt acht Jahre Pfarrer in Südwestsachsen. Es ging uns dort richtig gut, wir konnten einen wirklich segensreichen Dienst tun. Doch schließlich war von Gott her etwas Neues dran und wir haben ­eines Abends spontan ein paar Zeilen an einen gewissen Herrn Mascher, Prior der OJC-Gemeinschaft, gerichtet. Ich kannte die Publikationen der OJC schon länger und erachte sie für sehr kostbar. Ich empfand es meistens als richtig und richtig gut, wie dort Dinge gesehen und verstanden werden. Ausgewogen, biblisch, lebensfroh, zeitgemäß, radikal, weltoffen, tiefsinnig, verbindlich, barmherzig… Trotz einiger kommunitärer Erfahrungen – wir waren z.B. in Volkenroda, auf dem ­Bruderhof in Darvell/England, immer wieder in Selbitz usw. und zuletzt sogar einige Zeit mit einigen Familien aus unseren Gemeinden gemeinschaftlich unterwegs –, hatten wir es noch nie nach Reichelsheim oder Greifswald geschafft.

Da klingelt schon

mein Telefon, unbekannte Nummer: „Konstantin Mascher von der OJC …“ Dann gehen die Türen schnell auf. Der Kairos – der passende Gottesmoment – bricht herein. Nur ein paar Tage später ­sitzen einige OJCler bei uns in der Küche – ein ­erstes Kennenlernen. Wenige Wochen darauf sind wir in Reichelsheim. Dann – nach den Gottesdiensten am Ewigkeitssonntag – auch für einen Tag mit der ganzen Familie in Greifswald. Überall freundliche, offenherzige und kluge Menschen. Wir können uns lange nicht vorstellen, unser geliebtes Sachsen zu verlassen, aber in diesen Wochen des Herbstes 2021 verdichten sich Gottes Anzeichen. Das Motto der Kantorianer „Sequere vocem“ („Folge der Stimme“) aus dem Film „Vaya con Dios“ ermutigt uns, Gottes Rufen zu vernehmen und uns auf den Weg zu machen. Das Puzzle unseres Hörens setzt sich aus vielen Teilen zusammen: das Wiedererkennen des uns sehr viel bedeutenden Bildes „Die Rückkehr des verlorenen Sohnes“ von Rembrandt im Begegnungszentrum, ermutigende Gespräche mit Freunden, Gottes fortwährendes Hinweisen auf Josua 1 sowie der gemeinsame innere Friede als Ehepaar.

Irgendwann wird deutlich, dass es nicht mehr die Frage ist, wohin Gott uns führt, sondern ob wir mutig genug sind, diesen Schritt wirklich zu gehen. Vertrauen ist ja ziemlich einfach, wenn es um alltäglichen Kleinkram geht. Was kostet es denn da? Aber Vertrauen ist Gehen. Es geht um das Verlassen der Gemeinde mit vielen vertraut gewordenen Menschen, wichtigen Aufgaben und neu initiierten Projekten, auch das Verlassen der sächsischen Heimat, dann das Verlassen der beruflichen und finanziellen sehr guten und sicheren Versorgung – zu gut und zu sicher? – als ­Pfarrer der Landeskirche sowie schließlich das Herausreißen der Kinder aus ihren sozialen und gesellschaftlichen Bezügen. Kurzum: Kein leichter Schritt – heraus aus allem Vertrautem! Aus allem? Natürlich nicht, denn die persönliche Familie mit den wichtigsten Menschen und der persönliche Gott als Wichtigster überhaupt bleiben ja dabei.

Wir nahmen uns als Ehepaar und Familie abschließend ein Adventswochenende im Gästehaus der Liemehna-Bruderschaft. Vertrauen wir, dass Gott uns versorgen wird? Vertrauen wir, dass Gott sich um unsere Kinder kümmern wird? Vertrauen wir, dass Gott auch weiterhin mit der ­Gemeinde einen Weg hat? Vertrauen wir, dass ­unsere Beziehung zu den Eltern gut bleibt? Vertrauen wir, dass wir mit deutlich weniger Geld zurechtkommen? Vertrauen wir, dass …

Um was geht es eigentlich?

Letztlich doch darum, ob wir darauf setzen, dass es diesen Gott wirklich gibt oder nicht. Und dass er es wirklich gut mit uns meint.

So redeten, hörten, schrieben, prüften, beteten wir … und entschieden: Ja, Gott hat nach allem, was wir wahrgenommen haben, ein Ja dazu und wir sagen auch ja. Zitternd, manchmal zagend und doch gewiss. Wir wagen den Schritt in das Unbekannte. Wir vertrauen den neuen Wegen, auf die der Herr uns führt. Vorbereitet hat uns ein Wort aus dem Sommerurlaub 2022 auf der Nordseeinsel Langeoog. Dort gab es eine Lichtinstallation auf dem Weg zum Strand: „Wenn die Flut geht, sind meine Schritte die ersten im Sand.“ Ist dies nicht eine wunderbare Umschreibung für das, was wir Glaube nennen? „Der Glaube ist das unglaubliche Abenteuer des Vertrauens auf Gott“ (Corrie ten Boom). Wir lassen los, gehen erste Schritte und hoffen. Noch bevor wir sehen und ­ergreifen können – noch im dunklen Dämmern –, gehen wir los.

Und es war aufregend und manchmal mühsam, gut Abschied zu nehmen, alles zusammen­zu­packen und einen gewichtigen Abschnitt des ­Lebens abzuschließen. Nach der Lektüre von Jörg Ahlbrechts Buch „Die große Kraft der kleinen Tode“ empfanden wir dieses Loslassen und Zelte abbrechen wirklich auch als ein Einüben ins Sterben. Dieser Vertrauensschritt kostete richtig was und ist kostbar. Schweiß, Herz und viele Reflexionen: Welche Dinge brauchen wir eigentlich, welche können wir abgeben? Welche Menschen bleiben uns wichtig? Worauf kommt es letztlich an? Was bleibt, wenn das gewohnte äußere Umfeld sich so ändert? Was ist wirklich wichtig im Leben?

Nun sind wir hier. Nach einigen Monaten können wir rückblickend sagen: Es war nicht alles einfach, es war und ist nicht alles perfekt, aber es geht uns richtig gut. Wir dürfen in einer Mischung aus ­zögerlicher Zurückhaltung und Dankbarkeit ­bezeugen: Der lebendige Vater im Himmel hat unser Vertrauen, ja auch unseren Gehorsam, sichtbar gesegnet. Es ist gesund für Leib und Seele. Wir ­sehen uns als Beschenkte, ja, Gott hat uns reich gesegnet! Wir durften seine bleibende Gegenwart spüren und gewiss sein, wenn auch ganz viele Annehmlichkeiten und Umstände wegfallen, neu und fremd sind. Und wir haben wieder tiefer ­gelernt und erfahren, was es heißt, Gott wirklich nachzufolgen, ihm das ganze Leben hinzugeben und sich ihm ganz anzuvertrauen.

Mein Vertrauen

muss dabei nicht riesengroß sein. Entscheidend ist das Objekt meines Vertrauens. Dabei denke ich an ein Bild von Hans-Peter Royer, der das Vertrauen mit dem Betreten eines zugefrorenen Teiches verglichen hat. Es nütze nichts, wenn ich mit einem sehr großen Glauben auf einen See ginge, dessen Eisschicht sehr dünn ist. Ich würde einbrechen. Wenn ich jedoch auf einen See mit einer sehr ­dicken Eisschicht ginge, genügte auch ein kleiner angefochtener Glaube. Vorsichtig würde ich mich – Schritt für Schritt – auf den See tasten und ich würde spüren: es trägt. Und dass nicht wegen meines starken oder schwachen Glaubens, sondern weil das Objekt meines Glaubens getragen hat. Er trägt.

Ja, wir wollen weiterhin neugierig bleiben, was dieser große vertrauenswürdige Gott mit uns und dieser Welt vorhat. Wir wollen beweglich bleiben und uns vorwärts tasten. Wir wollen eine große Freiheit haben, Äußeres in Frage zu stellen. Wir wollen mutig sein, das Leben zu wagen. Riesenvertrauensschritte sind ja doch nur immer wieder kleine Schritte hinter dem riesigen Gott her. Aber es sind echte Schritte, die wirklich zu gehen sind. Klar doch!

Brennpunkt-Seelsorge 1 / 2023: Ganz im Vertrauen
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