Mann springt mit Megafon aus einem Smartphone

Der Multitasking-Mythos

Smartphone-Nutzung auf dem Prüfstand

Als Christen sind wir zur Gemeinschaft gerufen – einer Gemeinschaft, die Jesus selbst gestiftet hat. Und als Menschen sind wir ganz grundlegend auf Gemeinschaft angewiesen, auf die Gegenwart von anderen Menschen, die uns anblicken, ansprechen, bei uns sind, ermutigen, schützen, trösten, für uns sorgen und sich an uns freuen. Das ist nicht nur eine gute Aufgabenmatrix für Eltern, um eine sichere Bindung zum eigenen Kind aufzubauen, sondern es sind zugleich Zusagen Gottes an jeden Einzelnen: Ich sehe dich, ich bin bei dir, ich rede zu dir, ich tröste dich etc. In Gottes selbst proklamiertem Namen „Ich-bin-der-Ich-bin-da“ wird seine Gegenwart in unserem Leben besonders deutlich. Während wir uns also Gottes Gegenwart sicher sein können, erleben viele Menschen heute, dass es mit der eigenen oder der Präsenz und Aufmerksamkeit von anderen in Begegnungen und Gesprächen, bei der Arbeit oder beim Lernen schwierig geworden ist. Die Aufmerksamkeitsspanne ist oft sehr kurz, die Fähigkeit, lange und konzentriert an einer Aufgabe zu arbeiten, wird im modernen Arbeitsleben zunehmend seltener und wertvoller1.

Neurowissenschaftler und Psychologen haben längst mit dem „Multitasking-Mythos“ aufgeräumt: wir sind schlicht nicht dazu fähig, gleichzeitig zu telefonieren und Auto zu fahren, Nachrichten am Smartphone zu lesen und unseren Kindern oder dem Partner zuzuhören.2 Mehrere Studien3 haben festgestellt, dass oftmals die physische Präsenz eines Smartphones ausreicht, um die Qualität einer Begegnung oder eines Gesprächs zu schmälern. Dabei ist es gerade das Sich-Einlassen auf eine andere Person, das uns seelisch nährt. Und zwar ohne Ablenkung und ohne die unterbewusste Botschaft zu schicken, dass jedes Klingeln, Ertönen oder Aufleuchten meines Smartphones ein Grund dafür wäre, dem Gegenüber meine volle Aufmerksamkeit zu entziehen. Vorgänge, die jeder mit einem Smartphone vermutlich kennt.4 Hinzu kommen all die digitalen Ablenkungen, die zwar keine Gespräche unterbrechen, uns als Nutzer aber trotzdem stressen und immer häufiger ein Gefühl des „Es ist mir alles zu viel“ aufkommen lassen.

Was tun? Smartphones und digitale Endgeräte aus dem eigenen Leben verbannen tut zwar immer wieder gut, ist aber auf Dauer keine gangbare Lösung. Und eine App, die für eine schnelle, effiziente Lösung sorgt, ist mir noch nicht untergekommen. Stattdessen ist es wie mit allem im Leben, das gut werden soll: Es braucht Überlegung, Anstrengung, Missgeschicke, Fehler, erneute Versuche und ein hoffnungsvolles Dranbleiben, um einen guten Umgang mit dem Smartphone einzuüben. Was sich in meinem Leben als hilfreich erwiesen hat, ist u.a. folgendes:

„Ein Gesetz der Verhaltensarchitektur besagt: „Je näher etwas liegt, desto größer sein Einfluss auf das Seelenleben, je weiter entfernt, desto geringer sein Einfluss.“5 Jesus scheint um dies gewusst zu haben, als er den Jünger zu beten lehrte: „Und führe uns nicht in Versuchung“ und nicht „lass uns in der Versuchung die Willenskraft zu widerstehen haben“. Wenn das Smartphone erst einmal außer Hör-, Seh- und Reichweite ist (z. B. weil es in einer Schublade liegt), fällt es mir unendlich viel leichter, nicht dranzugehen.

Unser tiefstes Verlangen ist es, gesehen und geliebt zu werden und in reiche Beziehungen zu den Menschen um uns herum eingebunden zu sein. Dieses Verlangen kann keine App stillen. Es braucht Gemeinschaft mit anderen Menschen und mit Gott. Dazu sind wir alle berufen!

Folgende Fragen6, um meine Smartphone-Nutzung einzuordnen, helfen mir auch:

  • Trägt sie dazu bei, nahe und reale Beziehungen zu bauen und zu pflegen, oder zielt sie vor allem auf den Konsum dessen, was entfernte Berühmtheiten oder Influencer von sich geben?
  • Hilft sie mir, mich um meinen Körper zu kümmern, oder lässt sie mich davon träumen, den Grenzen und Begrenzungen meines leiblichen Seins entfliehen zu können?
  • Fördert sie gute Gespräche oder unterbricht oder verhindert sie diese?
  • Lerne ich dabei eine Fähigkeit im Bereich menschlicher Kultur: Kochen, Häkeln, Töpfern, Musizieren, Kodieren, Schreiben, Fotografieren etc. oder dient sie hauptsächlich passivem Konsum?
  • Lässt sie mich über die geschaffene Welt staunen oder hindert sie mich daran, mich in ihr zu bewegen?

  1. Cal Newport: Konzentriert arbeiten. Regeln für eine Welt voller Ablenkungen.
    München 2021. 

  2. Adam Gazzaley, Larry D. Rosen: Das überforderte Gehirn. Mit Steinzeitwerkzeug in der Hightech-Welt. München 2018. 

  3. Andrew K. Przybylski et al.: Can you connect with me now. How the presence of mobile communication technology influences face-to-face conversation quality, erschienen in: Journal of Social and Personal Relationships, 2012, Jg. 30, Nr. 3; Clarissa Theodora Tanil: Mobile phones – The effect of its presence on learning and memory, Veröffentlicht: August 13, 2020, https://doi.org/10.1371/journal.pone.0219233 Zugriff: 16. Juli 2024 

  4. Joachim Bauer beschreibt die Vorgänge und ihre Auswirkungen eindrücklich in seinem Buch: Joachim Bauer: Realitätsverlust. Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen – und die Menschlichkeit bedrohen. München 2023. 

  5. Adam Alter: Unwiderstehlich. Der Aufstieg suchterzeugender Technologien und das Geschäft mit unserer Abhängigkeit. München 2018, S. 272. 

  6. Vgl. Andy Crouch: The Tech-Wise Family. Grand Rapids 2017. 
    Jeppe Rasmussen, OJC-Schatzmeister, verheiratet mit Rahel und Vater von vier Kindern, lernt für sein Leben gern und kann von Sprachen nicht zu viel bekommen. 

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