Du hast meine Klage verwandelt…
Empfehlung von Friederike Klenk
„Maaamaa! Es ist ein lautloser Schrei“. Mit diesen Worten beginnt die spannende Erzählung einer unglücklichen Jugendlichen, die in einem goldenen Käfig aufwächst.
300 Zimmer hat das Schloss in Miechowitz/Schlesien, in dem sie inmitten einer großen Familie wohnt. Als sie 13 Jahre alt ist, stirbt die Mutter, die Eva über alles geliebt hat und monatelang begleitet sie die Frage: „Mama, warum hast du mich verlassen?“ Für Eva hat, seit dem Tod der Mutter, alles die Farbe von Asche. Ihr einziger Trost ist Thor, ein Bernhardiner, mit dem sie lange Spaziergänge durch den weitläufigen Wald machen kann und dem sie ihr Herz zeigt.
Der Name Eva von Tiele-Winckler ist mir seit meiner Jugend bekannt. Es gibt eine Reihe von Biographien über sie, die sie als glaubensstarke, erwachsene und zielstrebige Gründerin des Friedenshorts beschreiben, einer Heimat für Heimatlose. Dass sie auch eine einsame, unglückliche und verschlossene Jugendliche war, erfahren wir in der neuen Biographie von Lydia Betz-Michels. Und auch, wie sie, Schritt für Schritt, den Weg aus Einsamkeit, Verlassenheit und Ängsten heraus findet und zu einer neuen großen Liebe – zu Gott und heimatlosen jungen und alten Menschen.
Für den Vater ist es selbstverständlich, dass Eva, genau wie ihre Schwestern, einen Adligen heiratet. Es ist schließlich Ende des 19. ahrhunderts und die Familie ist reich und mit dem Kaiser in Berlin befreundet. Der Adel und die gewöhnlichen Leute im Dorf leben streng getrennt. Aber Eva erlebt auch, dass ihre Mutter eine Armenspeisung für die Alten im Dorf eingerichtet hatte. Jeden Mittag wird Essen gekocht, ausgeschenkt und mitgegeben. Irgendwann fällt Eva auf, dass sie nichts kennt als das Schloss, den Park und den Wald. Sie ist nie im Dorf bei Familien oder anderen Kindern. Der Vater bezahlt Privatlehrer und Betreuerinnen für sie und ihre Schwestern.
Doch Eva ist neugierig. Sie will wissen, wie die Menschen im Dorf leben. Der Vater verbietet es ihr. Je älter sie wird, umso mehr beschäftigen sie Fragen nach dem Sinn des Lebens.
Sie liebt es zu lesen und findet in den Tagebüchern ihrer Mutter Anregung und Ermutigung. Und ganz bewusst beschließt sie, dass sie das Leben meistern will wie ihre Mutter, dass sie Gott finden will, Gutes tun und sich um Arme kümmern.
Diese Entscheidung wird der Anfang für eine neue Richtung. – Noch ist der Weg weit.
In vier großen Kapiteln beschreibt die Autorin den Weg der verängstigten Jugendlichen zu einer immer mutiger werdenden jungen Frau, die sich auch durch viele Hindernisse nicht davon abbringen lässt, dass ihr Herz Christus und den Armen gehört.

Lydia Betz-Michels: „Freliczka“ Eva von Tiele-Winckler. Vom adligen Fräulein zur Mutter der Armen, Laumann-Verlag, ISBN: 978-3-89960-510-5