Silhouette eines einzelnen Mannes

Ist da jemand

Aus dem Leben eines Ledigen

Nach einem anstrengenden Arbeitstag komme ich nach Hause. Bis ich in meiner Wohnung bin, gehe ich an mehreren verschlossenen Wohnungstüren vorbei.
Es ist eher Zufall, wenn ich im Hof schon einen Nachbarn antreffe, mit dem ich mich kurz unterhalten kann – oder auch nicht. In meiner Wohnung angekommen, führt der erste Weg meist zur Fernbedienung des Fernsehers.

Da spricht noch jemand; ich bin nicht allein. Selbsttäuschung, denn Kommunikation kann man das nicht nennen. Es gibt sogar Tage, an denen auch zwischen den Kollegen kaum gesprochen wird, weil jeder konzentriert seine Arbeit erledigt und in den Pausen über das Smartphone geneigt ist.


Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, hat Gott schon in der Schöpfungsgeschichte gesagt. Aber ich bin alleine, wenn ich mich nicht selbst um Kontakte kümmere. Ohne eigene Familie ist die Herkunftsfamilie mein Raum mit den stärksten Verwurzelungen. Eine große Schar von Tanten und Onkeln, Cousins und Cousinen hat mein Leben von Anfang an geprägt. Hier fühlte ich mich wohl, geborgen und zugehörig – ganz von selbst und ohne große Anstrengung. Nun sind die Großeltern schon lange tot, die wenigen noch lebenden Onkel und Tanten steuern hochbetagt auf ihr Lebensende zu. Cousins und Cousinen haben meist selbst Familien gegründet und leben weit verstreut. Zu manchen konnte ich die Beziehung erhalten und auch intensivieren, die anderen sind aus meinem Leben verschwunden. Ihren Platz haben im Laufe der Jahrzehnte Freunde eingenommen. Menschen, denen ich begegnet bin und die Gott mir zur Seite und manchmal auch in den Weg gestellt hat.

Mit einigen verbindet mich ein ganz enges Band von Zuneigung und Vertrautheit. Es ist immer wie ein „Nach-Hause-kommen“, wenn ich sie besuche. Offenheit und Ehrlichkeit in den Höhen und Tiefen des Lebens haben das Freundschaftsband eng geknüpft. Oft sind ihre Kinder auch meine Patenkinder. Auf diese Weise habe ich doch noch Verantwortung für Kinder bekommen und darf alle einzelnen Lebens- und Entwicklungsphasen mitverfolgen und begleiten. Aber auch das sind Beziehungen, die auf Zeit angelegt sind. Ich kann nicht erwarten, dass sie von sich aus mein Bedürfnis nach Nähe erkennen und erfüllen. Das darf ich von keinem Menschen verlangen, auch wenn der Wunsch danach oft sehr groß ist. Ich gönne ihnen ihr buntes Leben, ihre Entwicklungen und Reifungsprozesse von Herzen und doch nagt der Schmerz des heimlichen Abschieds in mir. Kein Mensch kann letztlich mein innerstes Bedürfnis nach Nähe, Zuneigung und Geborgenheit stillen. Das erfahre ich auch immer in den Gesprächen mit befreundeten Eheleuten und Eltern.

Gott allein will meinen Mangel an Nähe stillen. Das ist eine theologische, aber leider oft auch nur theoretische Wahrheit. Gott legt mir nicht spürbar die Hand auf die Schulter, wenn ich einen Rat oder Begleitung brauche. Er umarmt und streichelt nicht, wenn ein Lediger das Verlangen nach körperlicher Intimität verspürt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch christliche Gemeinden selten in der Lage sind, angemessen auf die Bedürfnisse alleinstehender Menschen in ihren Reihen zu reagieren. Sie wünschen sich viel eher junge Familien in den Gottesdiensten und Gemeindekreisen. Ledige bleiben dabei auf der Strecke und müssen sich aus eigener Kraft um passende Kontakte bemühen. Neunzig Prozent meiner Kontakte sind das Ergebnis eigener Initiative. Wie gerne würde ich einmal unvermittelt angerufen oder besucht werden. Aber die Zeitfenster für Spontaneität sind meist eher klein. Oder werde ich nicht kontaktiert, weil ich mittlerweile schon als „wunderlich“ in meiner Lebensweise angesehen werde? Wer alleine lebt, entwickelt – vielleicht ohne es zu bemerken – Verhaltensweisen, die seine Umgebung als seltsam oder fremd einstuft. Das ist auch nicht überraschend, denn zumindest Zuhause ist er keinerlei „sozialen Kontrolle“ ausgesetzt. Er kann tun und lassen, was er will und wann er es will. Er ist keiner Person gegenüber verantwortlich. Und das ist ein Problem, das zur Entfremdung führen kann.

Ich bin nicht alleine und fühle mich dennoch oft einsam. Alleinsein hat für mich eher mit der Quantität der Kontakte zu tun, Einsamkeit dagegen ist eine Emotion, die ausdrückt, ob Leben qualitativ wirklich miteinander geteilt wird, ob ein anderer mir wirklich Anteil gibt an seinen offenen Lebensfragen und tiefsten Gefühlen. Ich freue mich über jeden Menschen, den Gott mir auf diese Weise zur Seite stellt. Solche Begleiter wünsche ich mir auch für Krankheitszeiten und die Zeit, wenn ich alt geworden bin und mein Alltag zunehmend beschwerlicher sein wird. Ich bin schon sehr gespannt, welchen Weg mich Gott in diesen Fragen noch führt.

Einsam? Wohl kaum!“ Eine Folge über das Ledigsein in unserem Podcast „feinhörig“.